Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0611
DOI Heft:
April-Heft
DOI Artikel:Meyer-Eckhardt, Viktor: Vier Gedichte
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0611
VIER
GEDICHTE
VICTOR MEYER-ECKHARDT
AN JESUS CHRISTUS
O heiliger Jesus, soll ich dich beklagen
Um deinen Tod, der freudlos zu dir kam?
O sieh, ich würde deinen Tod ertragen,
War auch das Leben mein, das er dir nahm.
O Herr, du warst ein Seliger unter Armen:
Hat nicht in allen Stunden deiner Rast
Geruht zu Trost und Dank in deinen Armen
Der Jünger, den du nie verloren hast?
War er dein Erdreich nicht und deine Stärke,
Drin deine Wurzeln ruhten nächtelang,
Dal^ dir daraus zu deinem Tagewerke
Erneuung sük und voll zum Herzen drang?
Und blieb verschlossen lang vor deinem Pochen
Die Tür der Weit, an die dein Finger schlug —
Aus seinem Mund hat Sehnsucht nur gesprochen:
Du warst ihm niemals nah und lieb genug.
So schiedest du von ihm, und alle wähnten,
Dak dich sein ewig schweigend Herz verlor.
Er aber trug dich aus in den Jahrzehnten,
Dann grub er dich aus seinem Scho^ hervor,
Dann, als er ein Feuergreis von hundert Jahren,
Hieb er gewaltig in den Stein der Zeit,
Was er an deiner Brust von Lieb erfahren,
Und machte dich zum Gott der Ewigkeit.
541
41
GEDICHTE
VICTOR MEYER-ECKHARDT
AN JESUS CHRISTUS
O heiliger Jesus, soll ich dich beklagen
Um deinen Tod, der freudlos zu dir kam?
O sieh, ich würde deinen Tod ertragen,
War auch das Leben mein, das er dir nahm.
O Herr, du warst ein Seliger unter Armen:
Hat nicht in allen Stunden deiner Rast
Geruht zu Trost und Dank in deinen Armen
Der Jünger, den du nie verloren hast?
War er dein Erdreich nicht und deine Stärke,
Drin deine Wurzeln ruhten nächtelang,
Dal^ dir daraus zu deinem Tagewerke
Erneuung sük und voll zum Herzen drang?
Und blieb verschlossen lang vor deinem Pochen
Die Tür der Weit, an die dein Finger schlug —
Aus seinem Mund hat Sehnsucht nur gesprochen:
Du warst ihm niemals nah und lieb genug.
So schiedest du von ihm, und alle wähnten,
Dak dich sein ewig schweigend Herz verlor.
Er aber trug dich aus in den Jahrzehnten,
Dann grub er dich aus seinem Scho^ hervor,
Dann, als er ein Feuergreis von hundert Jahren,
Hieb er gewaltig in den Stein der Zeit,
Was er an deiner Brust von Lieb erfahren,
Und machte dich zum Gott der Ewigkeit.
541
41