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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Däubler, Theodor: Otto Gleichmann
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OTTO GLEICHMANN
THEODOR DÄUBLER

Die Abbildungen mit Genehmigung der Galerie Fleditheim, Düsseldorf
Alles was auf unserm Nachfstern herumkribbelt ist Schimmel. Bäume, 1 iere,
sogar der Mensch: Flechten! Eine Fäulnis. Wir steigern uns nicht, sondern
^vermehren uns; daher unterliegt der Versuch, den Menschen sich über sich
emporretten zu lassen, immer wieder. Ist des Heilands Tat auch umsonst gewesen?
Wenig Güte, besonders aber keine Schönheit sind die Merkmale unserer Zeit.
Wir wurden zu Geldmehrern, ebenso wie zu Menschenmehrern. Das Proletariat
kommt hoch: der Spießbürger versinkt. Ein derartiges Hinauf und Hinunter kann
nur kläglich sein. Was kommt? Vorläufig: es schimmelt weiter! Und die sich
viel zu viel Vermehrthabenden beengen einander, werden innerlich unfrei. Gesetz-
lichkeiten, schwächliche Einwirrungen ins Geneh des Schicksalsmäßigen legen sich
auf die Menschen: ja, werden durch uns immer wieder neu auf jedes Einzelnen
Umwelt gebreitet. Also: wir ein Alp der Welt! Ungeheure Insektenarbeit hat das
neunzehnte Jahrhundert geleistet. Aber die Erde ist dabei rascher verschimmelt
als je zuvor. Spinnen der Häßlichkeit liegen auf den Städten, auf allen Einzelnen
und jedem Geschiedncn. Aber im Schein inneren Sonnenlichts, das von Herzen
kommt, fangen oft menschliche Wesen an zu glimmen. Sie flimmern. Erst merk-
würdig, dann seltsam nervig. Immer rätselhafter. Allen Schimmel der Umgebung
angreifend. Wir halten den Atem an: unsre Zeit ist besonders wichtig! Würdig,
gelebt zu sein. Oft wo wir am verbildetsten sind: in den Städten aus den Gründer-
jahren. Hier im aschgrau gemachten, verunstalteten Deutschland. In Hier. Einer,
der das weiß, um zu flüstern, der mit dem Stift zu lispeln vermag ist Otto Gleich-
mann. Keinem im Heute wohnt mehr Witternis, ja Geruchsinn für unsre Ver-
schimmelungen inne als ihm. Er weiß: die Monodie der langweiligen Großstadt
mit ihrem Hin und Her. (Eigentlich soll es bloß ein Empor gegen das Hinab geben!)
Er kennt unsre Ziellosigkeit. Das leßte Fünkchen Vergnügungslust im Herzen.
Die Freude am Kino. Und dazu Gespenstigkeit in Form von Selbstbemäklung.
Gleichmann erfaßt ganz richtig den Haß der zu nahe bei einander Begonnenen, sich
immer selbst wieder Anfangenden: kurz, die große Ungeborgenheit. Blicken wir
in einen seiner Innenräume: man hält die sich darin Aufhaltenden für unterirdisch
(das ist seelisch gemeint) von einem über ihnen klimpernden Klavier beeinflußt.
Sie hören allerdings die armselige Uberin und Lehrerin für 2 Mark die Stunde

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