Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0675
DOI Heft:
Mai-Heft
DOI Artikel:Edschmid, Kasimir: Profile, 5, Heinrich Mann
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0675
V.
HEINRICH MANN
KASIMIR EDSCHMID
Ein glänzender Blih fährt durch Europa vom Süden herauf über Venedig,
Genf, München, Paris, Stockholm. In den Städten ist grenzenlose Bläue.
Landschaft mit schwebenden Gärten. Meer glüht, See oder Fluf> bis in
uferlose Berauschung. Die Luft ist erregend, im Blut nur zu verstehen und aus-
zutragen. In der Achse steht Heinrich Mann, nicht umsonst ist die Leopoldstrabe
die schönste Grade Deutschlands, nicht umsonst fällt auf die Dächer der Thcatiner-
strabe schon italienischer Himmel. In Frankreich hätten sie Mann gefeiert, die
Römer hätten ihm gehuldigt. Bis in sein fünftes Jahrzehnt haben ihn die Deutschen
geschmäht. Er hatte Hohn nur auf die Bourgoisie und empfing die Quittung.
Auch haben seine Bücher einen Stil nach konzentrierter einsamer Grobe, dab man,
allein an Plumpuddings und Gelee gewöhnt, die breite Schärfe nicht begriff. Was
an ihm schon ins Europäische wollte, hielten sie für französisch. Sie hatten nicht
ganz unrecht. Er war wie eine Brücke aus dem Sumpf in die hellen Orchester
einer jungen Generation; auch der Schwebebalken, den die absterbende grobe
romanisch-demokratische Kultur tief in die deutsche Ratlosigkeit hineintrieb.
Als Rembrandt, Poussin, Bernini starben, stand das Spätbarock den groben
Meistern schon ohne Verständnis gegenüber. Wieland höhnte, als Bodmer sidi
an seinen Zöpfen erhäng. Auch Heine hatte nicht viel übrig für die Romantik,
die wiederum an den Klassikern nur Gefühle der Abneigung empfing. Seltsam,
dab zu Zeiten widerstrebender kleiner Kämpfe die groben Fibergangsbegabungen
gleichzeitig die Riesen waren und noch halb verwirrt und oft ziellos nur im In-
stinkt schon nach dem griffen, was der kommenden Generation als einzig sicheres
klares Bild vorschwamm. Wedekind, Strindberg, Heinrich Mann wurden plötzlich
aus der Einsamkeit der nachnaturalistischen Zeit zu Mittelpunkten erhöht. Man
kann ruhig auch Kerr hinzufügen. Es scheint heute, sie hätten die breiteren
Schultern gehabt, während die Generation heute sehniger, aber schmäler ist. Bei
den Schauspielern ist es das gleiche. Bassermann, Steinrück, Wegner spielten
den Kitsch ihrer Zeit, aber wen seht die geisthafte junge Schauspielerschaft ihnen
an Blutfülle, Erdkraft und Gewalt der Wirkung gegenüber? Heinrich Mann hatte
vor drei Jahren die Liebe der Jugend, es ist möglich, dab €r sich ändert. Sie er-
kannte an ihm im Instinkt den Kämpfer gegen seitheriges und den angestrengten
Arbeiter nach gemeiselter Form, den Erhalter des Dichterischen in der Prosa, als
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HEINRICH MANN
KASIMIR EDSCHMID
Ein glänzender Blih fährt durch Europa vom Süden herauf über Venedig,
Genf, München, Paris, Stockholm. In den Städten ist grenzenlose Bläue.
Landschaft mit schwebenden Gärten. Meer glüht, See oder Fluf> bis in
uferlose Berauschung. Die Luft ist erregend, im Blut nur zu verstehen und aus-
zutragen. In der Achse steht Heinrich Mann, nicht umsonst ist die Leopoldstrabe
die schönste Grade Deutschlands, nicht umsonst fällt auf die Dächer der Thcatiner-
strabe schon italienischer Himmel. In Frankreich hätten sie Mann gefeiert, die
Römer hätten ihm gehuldigt. Bis in sein fünftes Jahrzehnt haben ihn die Deutschen
geschmäht. Er hatte Hohn nur auf die Bourgoisie und empfing die Quittung.
Auch haben seine Bücher einen Stil nach konzentrierter einsamer Grobe, dab man,
allein an Plumpuddings und Gelee gewöhnt, die breite Schärfe nicht begriff. Was
an ihm schon ins Europäische wollte, hielten sie für französisch. Sie hatten nicht
ganz unrecht. Er war wie eine Brücke aus dem Sumpf in die hellen Orchester
einer jungen Generation; auch der Schwebebalken, den die absterbende grobe
romanisch-demokratische Kultur tief in die deutsche Ratlosigkeit hineintrieb.
Als Rembrandt, Poussin, Bernini starben, stand das Spätbarock den groben
Meistern schon ohne Verständnis gegenüber. Wieland höhnte, als Bodmer sidi
an seinen Zöpfen erhäng. Auch Heine hatte nicht viel übrig für die Romantik,
die wiederum an den Klassikern nur Gefühle der Abneigung empfing. Seltsam,
dab zu Zeiten widerstrebender kleiner Kämpfe die groben Fibergangsbegabungen
gleichzeitig die Riesen waren und noch halb verwirrt und oft ziellos nur im In-
stinkt schon nach dem griffen, was der kommenden Generation als einzig sicheres
klares Bild vorschwamm. Wedekind, Strindberg, Heinrich Mann wurden plötzlich
aus der Einsamkeit der nachnaturalistischen Zeit zu Mittelpunkten erhöht. Man
kann ruhig auch Kerr hinzufügen. Es scheint heute, sie hätten die breiteren
Schultern gehabt, während die Generation heute sehniger, aber schmäler ist. Bei
den Schauspielern ist es das gleiche. Bassermann, Steinrück, Wegner spielten
den Kitsch ihrer Zeit, aber wen seht die geisthafte junge Schauspielerschaft ihnen
an Blutfülle, Erdkraft und Gewalt der Wirkung gegenüber? Heinrich Mann hatte
vor drei Jahren die Liebe der Jugend, es ist möglich, dab €r sich ändert. Sie er-
kannte an ihm im Instinkt den Kämpfer gegen seitheriges und den angestrengten
Arbeiter nach gemeiselter Form, den Erhalter des Dichterischen in der Prosa, als
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