Berliner Eindrücke*
Dr. Oskar Beyer (Berlin).
IE mit einer gewissen Spannung er-
wartete Riesenausstellung am Lehrter
Bahnhof, deren lächerliches Plakat
im Stile Münchener Wißblattzeidmerei ein trübes
Omen bedeutet, ist nicht wesentlidr anders als
alle die Kunstrevuen vor 1914. Sie ist die
erste Frucht der seit und mit der Revolution in
Schwung gekommenen Kunstorganisationsbestre-
bungen, und man mühte verzweifeln, wenn alle die
reformerisdien Einfälle und Programme es zu
nichts besserem bringen sollten, als zu derartigen
Kompromißgebilden und offenbaren Mißgeburten.
Sdion bei dieser ersten und bedeutungsvollen
Gelegenheit ist eigentlich der Erweis erbracht,
daß wirklich Entscheidendes durdi „Organisieren“
und kluges Experimentieren, also unter Zuhilfe-
nahme rein mechanischer Gesichtspunkte, kaum
zustande kommen kann, sobald es um reine
Kunst geht. Hier war allein die steife, kunst-
politische Erwägung maßgebend, daß in einem
„sozialistisdien“ Staat, einer „freien, republi-
kanischen Volksgemeinschaft“ (beides besteht
bekanntlidi de facto nur dem Namen nach)
jedem einzelnen Künstler, jeder der vorhandenen
Dichtungen und Sekten die gleidien Redite und
eine gleidie Tribüne zugestanden werden müßten.
Nur als das Resultat einer solchen „liberalen“
(tatsächlich aber bildungsphiliströsen) Gesinnung
und Besinnung aufgefaßt, ließe diese sonderbare
Veranstaltung sich noch einigermaßen reditfertigen.
Das hier zur Anwendung gekommene Ver-
fahren kann man etwa durch die Vorstellung
illustrieren, daß eine Sdrar von Irrgewordenen
plößlidi in eine normale Biedergesellschaft
gerät. Tatsädffidr kann man sich des Ein-
drucks nidrt erwehren, als hätten in der rechten
Hälfte die Gesunden, Normalen, die Menschen
mit den regelrecht funktionierenden fünf Sinnes-
organen, drüben in der linken hingegen die
Anormalen, Exzentrisdren, die problematisdien,
ja völlig dunklen Existenzen, die einen 6., 7.
und xten Sinn zu besäßen und mit diesem
wahrzunehmen scheinen, — als hätten diese sich
ein Stelldichein gegeben. (Diesen leßtgenannten
angeschlossen, stößt man auf eine Anzahl
soldier, die im Grunde ihres Wesens durchaus alte
Welt, aus irgendwcldren, hier nidrt näher zu
erörternden Motiven heraus, sich in sehr ge-
sdrickter Jongleurgebärde mit Expressionismus,
Kubismus, Futurismus und Primitivismus zu
drapieren wissen.)
In den maßgebenden Kreisen reibt man sidr
gewiß vergnügt die Hände, daß man hier einmal
alle Ridrtungen unter einen Hut gebracht hat;
der großen Völkerversöhnung muß eine große
Kunstversöhnung parallel gehen! Aber wie man
einem wirklichen Völkerfrieden, obwohl er ge-
sdrlossen wird, vicllcidrt nodi ebenso fernesteht,
wie vor dem Ausbrudi des düsteren Kriegs-
verhängnisses, so kann audr heute die Kunst
nodr keinen Frieden schließen, solange man
wenigstens unter Kunst so lächerlich disparate
Dinge versteht, wie sic hier, wenn auch nicht
gerade in unmittelbarster Nachbarsdraft, so dodr
unter dem gleichen Dadie zu sehen sind. Den
maßgebenden Instanzen scheint es verborgen
geblieben zu sein, daß die Maler der rediten
mit denen der linken Hälfte durch garnichts
anderes mehr verbunden sind, als durch die
Gleidrheit von Pinsel, Farbmaterie und Lein-
wand (die Rahmen kann man schon nicht mehr
hinzufügen). Es ist nicht genügend in ihr Be-
wußtsein getreten, daß zwischen rechts und links
ein Abgrund gähnt, schauriger und hoffnungs-
loser, als jemals einer zwischen Maler-Zeitgenossen
geklafft hat, und daß es niemals, niemals eine
Brücke von hüben nach drüben geben könnte.
Rechts — die Seite der Schafe im Weltgericht
— hat sich die denkbar mildeste, verdauende
Behaglichkeit gelagert, von einer geistigen Harm-
losigkeit, wie man sie nur schwer in Worten
zu schildern vermödite! Wo in aller Welt haben
diese redlichen, fleißigen, verständigen Pinsel-
meistor der zum soundso vielten Male mißbrauchten
Motive, die sich immer noch voll gliicklidren
Stolzes ihres redlichen Tagewerks erfreuen
können, — wo zum Teufel haben sie denn
ihre Augen und Ohren gehabt in all diesen
bl
Dr. Oskar Beyer (Berlin).
IE mit einer gewissen Spannung er-
wartete Riesenausstellung am Lehrter
Bahnhof, deren lächerliches Plakat
im Stile Münchener Wißblattzeidmerei ein trübes
Omen bedeutet, ist nicht wesentlidr anders als
alle die Kunstrevuen vor 1914. Sie ist die
erste Frucht der seit und mit der Revolution in
Schwung gekommenen Kunstorganisationsbestre-
bungen, und man mühte verzweifeln, wenn alle die
reformerisdien Einfälle und Programme es zu
nichts besserem bringen sollten, als zu derartigen
Kompromißgebilden und offenbaren Mißgeburten.
Sdion bei dieser ersten und bedeutungsvollen
Gelegenheit ist eigentlich der Erweis erbracht,
daß wirklich Entscheidendes durdi „Organisieren“
und kluges Experimentieren, also unter Zuhilfe-
nahme rein mechanischer Gesichtspunkte, kaum
zustande kommen kann, sobald es um reine
Kunst geht. Hier war allein die steife, kunst-
politische Erwägung maßgebend, daß in einem
„sozialistisdien“ Staat, einer „freien, republi-
kanischen Volksgemeinschaft“ (beides besteht
bekanntlidi de facto nur dem Namen nach)
jedem einzelnen Künstler, jeder der vorhandenen
Dichtungen und Sekten die gleidien Redite und
eine gleidie Tribüne zugestanden werden müßten.
Nur als das Resultat einer solchen „liberalen“
(tatsächlich aber bildungsphiliströsen) Gesinnung
und Besinnung aufgefaßt, ließe diese sonderbare
Veranstaltung sich noch einigermaßen reditfertigen.
Das hier zur Anwendung gekommene Ver-
fahren kann man etwa durch die Vorstellung
illustrieren, daß eine Sdrar von Irrgewordenen
plößlidi in eine normale Biedergesellschaft
gerät. Tatsädffidr kann man sich des Ein-
drucks nidrt erwehren, als hätten in der rechten
Hälfte die Gesunden, Normalen, die Menschen
mit den regelrecht funktionierenden fünf Sinnes-
organen, drüben in der linken hingegen die
Anormalen, Exzentrisdren, die problematisdien,
ja völlig dunklen Existenzen, die einen 6., 7.
und xten Sinn zu besäßen und mit diesem
wahrzunehmen scheinen, — als hätten diese sich
ein Stelldichein gegeben. (Diesen leßtgenannten
angeschlossen, stößt man auf eine Anzahl
soldier, die im Grunde ihres Wesens durchaus alte
Welt, aus irgendwcldren, hier nidrt näher zu
erörternden Motiven heraus, sich in sehr ge-
sdrickter Jongleurgebärde mit Expressionismus,
Kubismus, Futurismus und Primitivismus zu
drapieren wissen.)
In den maßgebenden Kreisen reibt man sidr
gewiß vergnügt die Hände, daß man hier einmal
alle Ridrtungen unter einen Hut gebracht hat;
der großen Völkerversöhnung muß eine große
Kunstversöhnung parallel gehen! Aber wie man
einem wirklichen Völkerfrieden, obwohl er ge-
sdrlossen wird, vicllcidrt nodi ebenso fernesteht,
wie vor dem Ausbrudi des düsteren Kriegs-
verhängnisses, so kann audr heute die Kunst
nodr keinen Frieden schließen, solange man
wenigstens unter Kunst so lächerlich disparate
Dinge versteht, wie sic hier, wenn auch nicht
gerade in unmittelbarster Nachbarsdraft, so dodr
unter dem gleichen Dadie zu sehen sind. Den
maßgebenden Instanzen scheint es verborgen
geblieben zu sein, daß die Maler der rediten
mit denen der linken Hälfte durch garnichts
anderes mehr verbunden sind, als durch die
Gleidrheit von Pinsel, Farbmaterie und Lein-
wand (die Rahmen kann man schon nicht mehr
hinzufügen). Es ist nicht genügend in ihr Be-
wußtsein getreten, daß zwischen rechts und links
ein Abgrund gähnt, schauriger und hoffnungs-
loser, als jemals einer zwischen Maler-Zeitgenossen
geklafft hat, und daß es niemals, niemals eine
Brücke von hüben nach drüben geben könnte.
Rechts — die Seite der Schafe im Weltgericht
— hat sich die denkbar mildeste, verdauende
Behaglichkeit gelagert, von einer geistigen Harm-
losigkeit, wie man sie nur schwer in Worten
zu schildern vermödite! Wo in aller Welt haben
diese redlichen, fleißigen, verständigen Pinsel-
meistor der zum soundso vielten Male mißbrauchten
Motive, die sich immer noch voll gliicklidren
Stolzes ihres redlichen Tagewerks erfreuen
können, — wo zum Teufel haben sie denn
ihre Augen und Ohren gehabt in all diesen
bl