THEOGENIE DER KÜNSTE.
Anfang war das Grauen, Die
-is dem dumpfen Iraunr der Tierheit
•wachende Menschenseele sicht sich
ein flimmerndes Chaos über-
mächtiger feindlidrcr Gewalten geworfen. Der
Geist — zum ersten Male und als Einziger still-
stehend in dem aus dunklen Untiefen quellenden,
rastlos und unaufhaltsam in ungeahnte Abgründe
dahinranschenden Strom des Weltgeschehens —
erkennt, sich seiner selbst zum ersten Male däm-
mernd bewußt werdend, daß er ein Anderes,
ein Fremdes ist, ein Ding für sich im brausenden
Wirbel des Daseins.
Er sieht — zum ersten Male — seinen auf
sein Leben gerichteten Willen in nie geträumtem
Gegensah zum Lebenswillen der Umwelt. Wind
und Wetter, Tiere und Naturgewalten stellen sich
seinem Willen drohend und übermächtig entgegen.
Wald und Strom, Käfer und Löwe, Blume und
Glcfsdrer, Regenbogen und Bliß, Frühlingsdüfte
und Schneesturm, die wie das Kind so auch die
kindliche Mensdrheit staunend, fürchtend, liebend
als gegeben hingenommen, als Seinesgleichen
gekannt hat, sind dem aufdämmernden Bewußt-
sein der jungfräulidien Seele plößlidr fern und
beängstigend — sie ist eine Fremde unter
Fremden. Der erwadiende Mensch erkennt, daß
der unendlichen Vielheit des Seins und Geschehens
um ihn die Einheit des Willens in ihm gegen-
übersfehf — des Millens zur Ordnung. Lind ihn
faßt namenloses Grauen vor dem Ganzanderen,
Außermenschlichen, Unheimlichen um ihn: das
Grauen der absoluten Einsamkeit.
Das Erwachen dieses Grauens ist die Keimzelle
aller Kultur. Aus ihr sprießen Willensarme, die
das Grausig - Gestaltlose des Weltgeschehens
formen, ordnen, vereinheitlichen, beherrschen wol-
len. Verstehen heißt ordnen, heißt besißen, heißt
überwinden — beherrschen. Menschheitsgeschichte
ist der Kampf des Geistes um die Erlösung vom
Grauen, um die Herrschaft über das Fremde um
uns und in uns. Herrscherwille schafft Götter,
wissenschaftliche Systeme, Kunst.
* *
*
Der Mensdrengeist als Drehpunkt des
rotierenden physisch-psychischen Weltgeschehens
fühlt schaudernd schon früh den unüberbrückbaren
Abgrund, der ihn vom Sein an sich, vom Wesen
der Dinge hoffnungslos trennt. Aber er will, er
muß verstehen, überwinden, ordnen, beherrsdien,
er muß, um nicht zu verzweifeln, das Ewig-
bewegliche, Ewigungreifbare, sich fortgeseßt
Wandelnde der Ersdreinungen fassen, fesfhalfen,
in einen seiner befrachtenden Ruhe adäquaten
Zustand bringen — er muß es verewigen.
Das nie Dauernde muß er dauernd machen,
das immer Zerfließende muß er verdidrten.
Lind so dichtet er, ver-dichfet er das im Kleinen
wie im Großen nebelhaft vorbeirasende Welt-
geschehen zu einem Weltbilde.
Drei Werkzeuge schmiedet sidi der zur Herr-
sdiaft strebende Geist. Die Religion sdrafft
der Einbildungskraft die großen Umrisse eines
planvoll-zweckmäßigen Gesdiehens. Die Wissen-
sdraft weist dem Denken den logisch-kausalen
Zusammenhang der Dinge. Die Kunst hebt
das vergängliche, das zufällig-natürliche Erlebnis
ins Reich des Ewigen, des Gesetzmäßigen. Religion
und Wissenschaft betasten Teile, Seiten; die
Kunst allein erfaßt Ganzes als Ganzheit.
'k 'k
*
Jener Urkiinsfler, ein Jüngling vielleidit, der
aufgewühlt bis zur Blendung von der ungeheuren
Erschütterung eines ersten Kampfes auf Leben
und Tod in die elterliche Höhle zurückkehrt und
durch die Darstellung im Wort Befreiung von
dem Ungeheuren ersehnt, ein Greis vielleicht, der
eigenes wüstes Jugenderleben verstehend dem
Verständnis der Enkel erschließen will, sucht nadi
dem Ausdruck, dem Lebenssaft, dem Blut,
dem Wesen seines Erlebnisses. Er strebt danach,
faszinierenden verewigenden Extrakt zu bieten, er
läßt weg, schmückt aus, zieht zusammen, färbt,
ordnet, ver-didifet: er wird zum Dichter, zum
Künstler. Das Zufällig-Einmalige wird zum
ewiggültigen Symbol, zur höheren Wahrheit
einer höheren, reineren, gesetzmäßigen Sphäre.
Tatsädrhdres Geschehen aufwühlend verwirrender
Wirklichkeit gewinnt Distanz, wird LibersiditÜch,
Anfang war das Grauen, Die
-is dem dumpfen Iraunr der Tierheit
•wachende Menschenseele sicht sich
ein flimmerndes Chaos über-
mächtiger feindlidrcr Gewalten geworfen. Der
Geist — zum ersten Male und als Einziger still-
stehend in dem aus dunklen Untiefen quellenden,
rastlos und unaufhaltsam in ungeahnte Abgründe
dahinranschenden Strom des Weltgeschehens —
erkennt, sich seiner selbst zum ersten Male däm-
mernd bewußt werdend, daß er ein Anderes,
ein Fremdes ist, ein Ding für sich im brausenden
Wirbel des Daseins.
Er sieht — zum ersten Male — seinen auf
sein Leben gerichteten Willen in nie geträumtem
Gegensah zum Lebenswillen der Umwelt. Wind
und Wetter, Tiere und Naturgewalten stellen sich
seinem Willen drohend und übermächtig entgegen.
Wald und Strom, Käfer und Löwe, Blume und
Glcfsdrer, Regenbogen und Bliß, Frühlingsdüfte
und Schneesturm, die wie das Kind so auch die
kindliche Mensdrheit staunend, fürchtend, liebend
als gegeben hingenommen, als Seinesgleichen
gekannt hat, sind dem aufdämmernden Bewußt-
sein der jungfräulidien Seele plößlidr fern und
beängstigend — sie ist eine Fremde unter
Fremden. Der erwadiende Mensch erkennt, daß
der unendlichen Vielheit des Seins und Geschehens
um ihn die Einheit des Willens in ihm gegen-
übersfehf — des Millens zur Ordnung. Lind ihn
faßt namenloses Grauen vor dem Ganzanderen,
Außermenschlichen, Unheimlichen um ihn: das
Grauen der absoluten Einsamkeit.
Das Erwachen dieses Grauens ist die Keimzelle
aller Kultur. Aus ihr sprießen Willensarme, die
das Grausig - Gestaltlose des Weltgeschehens
formen, ordnen, vereinheitlichen, beherrschen wol-
len. Verstehen heißt ordnen, heißt besißen, heißt
überwinden — beherrschen. Menschheitsgeschichte
ist der Kampf des Geistes um die Erlösung vom
Grauen, um die Herrschaft über das Fremde um
uns und in uns. Herrscherwille schafft Götter,
wissenschaftliche Systeme, Kunst.
* *
*
Der Mensdrengeist als Drehpunkt des
rotierenden physisch-psychischen Weltgeschehens
fühlt schaudernd schon früh den unüberbrückbaren
Abgrund, der ihn vom Sein an sich, vom Wesen
der Dinge hoffnungslos trennt. Aber er will, er
muß verstehen, überwinden, ordnen, beherrsdien,
er muß, um nicht zu verzweifeln, das Ewig-
bewegliche, Ewigungreifbare, sich fortgeseßt
Wandelnde der Ersdreinungen fassen, fesfhalfen,
in einen seiner befrachtenden Ruhe adäquaten
Zustand bringen — er muß es verewigen.
Das nie Dauernde muß er dauernd machen,
das immer Zerfließende muß er verdidrten.
Lind so dichtet er, ver-dichfet er das im Kleinen
wie im Großen nebelhaft vorbeirasende Welt-
geschehen zu einem Weltbilde.
Drei Werkzeuge schmiedet sidi der zur Herr-
sdiaft strebende Geist. Die Religion sdrafft
der Einbildungskraft die großen Umrisse eines
planvoll-zweckmäßigen Gesdiehens. Die Wissen-
sdraft weist dem Denken den logisch-kausalen
Zusammenhang der Dinge. Die Kunst hebt
das vergängliche, das zufällig-natürliche Erlebnis
ins Reich des Ewigen, des Gesetzmäßigen. Religion
und Wissenschaft betasten Teile, Seiten; die
Kunst allein erfaßt Ganzes als Ganzheit.
'k 'k
*
Jener Urkiinsfler, ein Jüngling vielleidit, der
aufgewühlt bis zur Blendung von der ungeheuren
Erschütterung eines ersten Kampfes auf Leben
und Tod in die elterliche Höhle zurückkehrt und
durch die Darstellung im Wort Befreiung von
dem Ungeheuren ersehnt, ein Greis vielleicht, der
eigenes wüstes Jugenderleben verstehend dem
Verständnis der Enkel erschließen will, sucht nadi
dem Ausdruck, dem Lebenssaft, dem Blut,
dem Wesen seines Erlebnisses. Er strebt danach,
faszinierenden verewigenden Extrakt zu bieten, er
läßt weg, schmückt aus, zieht zusammen, färbt,
ordnet, ver-didifet: er wird zum Dichter, zum
Künstler. Das Zufällig-Einmalige wird zum
ewiggültigen Symbol, zur höheren Wahrheit
einer höheren, reineren, gesetzmäßigen Sphäre.
Tatsädrhdres Geschehen aufwühlend verwirrender
Wirklichkeit gewinnt Distanz, wird LibersiditÜch,