Das Weltbild der Jugend und die Wiedergeburt der Romantik.
Wilhelm Waetzoldt, Professor an der Universität Halle.
ie Jugend schafft sich wieder ein
künstlerisches Weltbild. Aus der
verwirrenden Fülle philosophischer,
wirtschaftlicher und politischer Ideale,
Zielsetzungen und Reformgedanken heben sidr
die Grundlinien des Kunsfwollens der Jugend
immer klarer heraus. Hier fühlen wir deutlicher
als sonstwo den Pulsschlag der Zeit, sind doch
die Künstler die Wegbereiter des neuen geistigen
Deutschland geworden. Schon etwa ein Jahr-
zehnt vor der politischen Revolution hat die
Kunst ihre Krise durchgemacht. Die grobe
Stilwandlung von der Eindruckskunst zur Aus-
druckskunst signalisierte die Umwälzung aller
Verhältnisse. In dem, was die künstlerische
Jugend will, was sie leidenschaftlich ablehnt
und was sie ebenso leidenschaftlich erstrebt,
enthüllt sidr eine neue Grundhaltung dem Leben
gegenüber, die nur verkennen kann, wer sidr
in starrer Abwehr gegen die lebendige Welt
verschlieft oder in dumpfer Glcidrgiiltigkeit den
Strom der Zeit an sidr vorüberrauschen läßt.
So neu dieses Weltbild auch anmutet, so
umschließt es dodr geistiges Erbgut: denn in ihm
erlebt die r o nr an f i s ch e Kunstanschauung ihre
Wiedergeburt auf der Stufe modernen Denkens.
Bestimmende Elemente sind hier und dort die
gleichen, bis in überraschende Einzelheiten des
Denkens und des'Empfindens tritt der seclisdre
Parallelismus von damals und heute zu Tage.
Die Sehnsucht der romantischen Jugend, die
durch den Mund Wilhelm Wackenroders am
klarsten und ergreifendsten sidr ausgesprochen
hat, ging gegen die Zeit. In der großen
Verschiebung aller ästhetischen Standpunkte
offenbarte sidr, wenn man nach den letzten
Gründen fragt, das Ethos eines jungen Ge-
schlechtes, das sidr aufbäumte gegen die Vor-
herrschaft des Intellektuellen in der vorher-
gehenden Generation. Die veränderte Einstellung
auf die Kunst erfolgte nicht von der Grundlage
eines neuen, am Klassizismus gemessen er-
weiterten und vertieften Wissens, sondern auf
Grund einer neuen Gesinnung. Die romantische
Kritik der Kultur und Kunst ihrer Zeit, sowie
der Aufbau ihrer neuen Lebens- und Kunst-
ideale sind nur so zu verstehen. Als eine Folge
der Terrorisierung des gesamten geistigen Lebens
durch den Intellekt wurde der rationalistische
Betrieb der Wissenschaften und die Überschätzung
des I echnisch-Artistisdien in der künstlerischen
Leistung empfunden und verworfen. Gegen
diese Mächte richtete sich daher zunächst die von
Wackenroder durch seine «Herzensergießungen
eines kunstliebenden Klosterbruders» eingeleitete
Offensive. Die romantische Ästhetik ist anti-
kritisch, weil sie antirationalistisch ist. Kritik,
das heißt immer nur: „Vergleichung, Zusammen-
setzung, Trennung dessen, was schon da: ist",
ein „Verwandeln des sdroti Existierenden".
Weiter bringt es nur der sdraffende Mensch, und
„der Künstler, der Dichter ist Schöpfer"! Man
hatte genug von dem kalt kritisierenden Blick
Leasings, übergenug von der platten Aufklärerei
eines Ramdohr, für den es keine Sdrleicr des
künstlerischen Geheimnisses mehr gab, der alles
zu verstehen glaubte, weil er nichts wahrhaft
empfand; genug audr von der Systemwut des
Mengs, der in die Fädier seiner ästhetischen
Kategorien die unendliche Mannigfaltigkeit und
den quellenden Reichtum des künstlerischen
Lebens bergen wollte. „ Aberglaube besser als
Systemglaube", denn Systemgläubigkeit ist
Lieblosigkeit, und ohne Liebe bleibt auch in
der Kunstwissenschaft alles ein tönendes Erz
oder eine klingende Schelle. Kunst ist mehr
als eine Belustigung des Witzes und Verstandes,
sie ist Appell an unsre Empfindung, sie soll
nicht belehren, sondern rühren. Und das
seelische Organ, sidr der ästhetischen Werte
zu bemächtigen, ist nicht der Verstand, sondern
der Enthusiasmus. Die Rationalisten schämten
sich, zuzugeben, daß es irgend etwas in der
menschlichen Seele geben solle, worüber sic
wißbegierigen jungen Leuten nicht Auskunft
geben könnten. Die Romantiker heißen den
menschlichen Wiß schweigen und lassen ihren
frommen Sinn bezaubern von der Kunst, deren
Werke herrlich sind, wie am ersten lag. So
Wilhelm Waetzoldt, Professor an der Universität Halle.
ie Jugend schafft sich wieder ein
künstlerisches Weltbild. Aus der
verwirrenden Fülle philosophischer,
wirtschaftlicher und politischer Ideale,
Zielsetzungen und Reformgedanken heben sidr
die Grundlinien des Kunsfwollens der Jugend
immer klarer heraus. Hier fühlen wir deutlicher
als sonstwo den Pulsschlag der Zeit, sind doch
die Künstler die Wegbereiter des neuen geistigen
Deutschland geworden. Schon etwa ein Jahr-
zehnt vor der politischen Revolution hat die
Kunst ihre Krise durchgemacht. Die grobe
Stilwandlung von der Eindruckskunst zur Aus-
druckskunst signalisierte die Umwälzung aller
Verhältnisse. In dem, was die künstlerische
Jugend will, was sie leidenschaftlich ablehnt
und was sie ebenso leidenschaftlich erstrebt,
enthüllt sidr eine neue Grundhaltung dem Leben
gegenüber, die nur verkennen kann, wer sidr
in starrer Abwehr gegen die lebendige Welt
verschlieft oder in dumpfer Glcidrgiiltigkeit den
Strom der Zeit an sidr vorüberrauschen läßt.
So neu dieses Weltbild auch anmutet, so
umschließt es dodr geistiges Erbgut: denn in ihm
erlebt die r o nr an f i s ch e Kunstanschauung ihre
Wiedergeburt auf der Stufe modernen Denkens.
Bestimmende Elemente sind hier und dort die
gleichen, bis in überraschende Einzelheiten des
Denkens und des'Empfindens tritt der seclisdre
Parallelismus von damals und heute zu Tage.
Die Sehnsucht der romantischen Jugend, die
durch den Mund Wilhelm Wackenroders am
klarsten und ergreifendsten sidr ausgesprochen
hat, ging gegen die Zeit. In der großen
Verschiebung aller ästhetischen Standpunkte
offenbarte sidr, wenn man nach den letzten
Gründen fragt, das Ethos eines jungen Ge-
schlechtes, das sidr aufbäumte gegen die Vor-
herrschaft des Intellektuellen in der vorher-
gehenden Generation. Die veränderte Einstellung
auf die Kunst erfolgte nicht von der Grundlage
eines neuen, am Klassizismus gemessen er-
weiterten und vertieften Wissens, sondern auf
Grund einer neuen Gesinnung. Die romantische
Kritik der Kultur und Kunst ihrer Zeit, sowie
der Aufbau ihrer neuen Lebens- und Kunst-
ideale sind nur so zu verstehen. Als eine Folge
der Terrorisierung des gesamten geistigen Lebens
durch den Intellekt wurde der rationalistische
Betrieb der Wissenschaften und die Überschätzung
des I echnisch-Artistisdien in der künstlerischen
Leistung empfunden und verworfen. Gegen
diese Mächte richtete sich daher zunächst die von
Wackenroder durch seine «Herzensergießungen
eines kunstliebenden Klosterbruders» eingeleitete
Offensive. Die romantische Ästhetik ist anti-
kritisch, weil sie antirationalistisch ist. Kritik,
das heißt immer nur: „Vergleichung, Zusammen-
setzung, Trennung dessen, was schon da: ist",
ein „Verwandeln des sdroti Existierenden".
Weiter bringt es nur der sdraffende Mensch, und
„der Künstler, der Dichter ist Schöpfer"! Man
hatte genug von dem kalt kritisierenden Blick
Leasings, übergenug von der platten Aufklärerei
eines Ramdohr, für den es keine Sdrleicr des
künstlerischen Geheimnisses mehr gab, der alles
zu verstehen glaubte, weil er nichts wahrhaft
empfand; genug audr von der Systemwut des
Mengs, der in die Fädier seiner ästhetischen
Kategorien die unendliche Mannigfaltigkeit und
den quellenden Reichtum des künstlerischen
Lebens bergen wollte. „ Aberglaube besser als
Systemglaube", denn Systemgläubigkeit ist
Lieblosigkeit, und ohne Liebe bleibt auch in
der Kunstwissenschaft alles ein tönendes Erz
oder eine klingende Schelle. Kunst ist mehr
als eine Belustigung des Witzes und Verstandes,
sie ist Appell an unsre Empfindung, sie soll
nicht belehren, sondern rühren. Und das
seelische Organ, sidr der ästhetischen Werte
zu bemächtigen, ist nicht der Verstand, sondern
der Enthusiasmus. Die Rationalisten schämten
sich, zuzugeben, daß es irgend etwas in der
menschlichen Seele geben solle, worüber sic
wißbegierigen jungen Leuten nicht Auskunft
geben könnten. Die Romantiker heißen den
menschlichen Wiß schweigen und lassen ihren
frommen Sinn bezaubern von der Kunst, deren
Werke herrlich sind, wie am ersten lag. So