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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Juni-Heft
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Beyer, Oskar: Das "Grosse Haus" von Poelzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0739

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DAS „GROSSE HAUS“ VON POELZIG
Dr, Oskar Beyer
Es ist eine Folge des einer großen, einheitlichen Stilkraft ganz und gar ent-
behrenden 19. Jahrhunderts; daß für weiteste Kreise keinerlei Möglichkeit
besteht; architektonische Formen und Gebilde rein gefühlsmäßig auf sich
wirken zu lassen. Baukunst ist infolgedessen an die äußerste Peripherie des ästhe-
tischen Interessenkreises; ja vielfach ganz über den Rand desselben hinausgeschoben
worden: sie ist verdächtig; da sie an die menschlichen Abstraktionsfähigkeiten
appelliere; da sie technische und mathematische Kenntnisse vorausseßC; — sie gilt als
Sache der Ingenieure; sie gilt als langweilig, geistlos; unbequem; als ein Gebiet; das nur
auf kalte Zweckmäßigkeiten gegründet sei. Eine solche Meinung, die sich in vielen,
sonst für Kunstprodukte sehr erwärmten Herzen festgenistet, könnte man durch
einen wenn auch noch so flüchtigen Rückblick auf die künstlerisch trostlose Bauepoche
der leßten siebenzig Jahre etwa jedem begreiflich und damit verzeihlich machen;
abersie istzu einer schlimmen Denkgewohnheit geworden, fortgeerbt von Generation
zu Generation, sie hat lästige und absurde Widerstände geschaffen und wird noch
lange sich verhängnisvoll bemerklich machen. Aber das Leben schreitet mit Riesen-
schritten weiter: wir sehen uns heute in den Anfangsjahren einer neuen Epoche
des architektonischen Wollens, einer grandiosen architektonischen Kultur, zu
der die jüngstvergangene, kunstgewerblich orientierte Baubewegung nur ein flüch-
tiges Vorspiel war, auf bisher nie geahnte Möglichkeiten werden unsere Augen
gelenkt. Die Verwirklichung großer Pläne ist allerdings infolge des Krieges auf
lange in Frage gestellt, aber vielleicht ist erst dadurch, daß er gekommen und —
verloren wurde, eine Perspektive für die Baukunst gewonnen, die man sonst unter-
drückt, ja bekämpft hätte. Sie wird eine sparsame Kunst sein müssen, jedes einzelne
ihrer Monumente wird als abgerungen, abgetroßt empfunden werden, doch vielleidrt
wird es umso erschütternder Zeugnis geben von der Gewalt eines so oft verlästerten
Geistes, einer völlig neuen Weltorientierung.
Der neue Theaterbau von Poelzig ist so ein erstes Troßdem dieser Zeit, ein
Jahr nach dem Ende der großen Tragödie steht er da als Zeugnis unverzagten
Wagens, ungeminderter Selbstgewißheit. Fast könnte man von einer symbolischen
Wirkung sprechen: in einer häßlichen und trüben Gegend Berlins steht über alten,
schmußigen Dächern ein sonderbarer Streifen Rot, den man von ferne schwer in
irgendwelche logische Beziehungen einordnen kann; dann steht man vor einer
ziemlich schmalen, verwitterten Straßenzeile, und aus dem Hintergründe prallt einem

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