Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

DOI Heft:
Februar-Heft
DOI Artikel:
Eulenberg, Hedda [Hrsg.]; Eulenberg, Hedda [Übers.]: Renoir, 3, Stimmen der Zeitgenossen
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0386

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
III.
STIMMEN DER ZEITGENOSSEN
Ausgewählt und aus dem Französischen übertragen von Hedda Eulenberg

Octave Mirbeau*
T^enoir steht nun gleichberechtigt in der Gesellschaft derer, deren Ruhm durch die allgemeine
JdV Zustimmung unantastbar gemadit worden ist. Andere Maler haben sidr Probleme gestellt,
grobe Probleme. Sie haben uns tönende Betraditungen über das Ende und die Grenzen des
Lebens hinterlassen, über die Beziehungen von Kunst und Leben, über den Plab, den die Kunst
im Leben, und die Stelle, die das Leben in der Kunst einnimmt. Als Ästheten, Kritiker, Philo-
sophen, Apostel, Sdrulfüchse, erklären sie die Welt, falls sie nicht geruhen, sie zu erlösen. Sie
haben alle Probleme gelöst, als ob das Leben ein Problem sei, als ob das Leben eine andere
Lösung als eben das Leben selbst habe, und als ob ein Bild etwas anderes bedeute, als das
Glück, das es der Natur entreißt und den Mensdien gibt. Renoir hat gemalt. Idi sehe hier
die erstaunten Gesichter sdiöner Damen und junger Poeten. Er hat gemalt, was er malen
nannte. Seit wann hat ein Maler (fragen sie) das Bedürfnis zu malen? Renoir malt, wie man
atmet. Malen ist für ihn der komplementäre Akt zum Sdiauen geworden. Andere haben Augen,
für die die Versudiung umherzusdrweifen unwiderstehlidr wird. Für Renoir aber ist es Zwang,
dah die Hand das Glück im Raume festhält, das die Augen gesdiauf haben. So sieht man
ihn denn audr außerhalb seiner Arbeitsstunden auf dem Spaziergang oder auf der Reise auf
winzige Schadrieldeckelchen, wie man sie stets zur Hand hat, die Sonnenblumen im Garten
eines Bahnwärters malen, oder eine Mauer, eine Bank, ein Gartenbeet, ganz gleidr was.
Er hat nicht nur darauf verzichtet, die Welt zu erlösen, er hat sogar davon abgesehen,
Frankreidr zu retten. Seitdem ein junger Mustersdiiiler besdilossen hat, Marokko zu erobern
und die Gemälde Poussins gegen die Muselmänner zu verteidigen, haben die Maler verstanden,
dalj sie eine patriotische, soziale und traditionalistisdie Aufgabe haften. Es ist nidif mehr die
Rede davon, zu malen, sondern die Tradition zu verteidigen. Und die ist eins und unteilbar,
ob es sich nun um Malerei, um Literatur oder um Politik handelt. Man lerne zuerst die Tra-
dition. Wenn man dann die Tradition kennt, so wird man bald nach Belieben Bilder malen,
Büdrer schreiben, Statuen formen, regieren und im Notfall auch kolonisieren können. Malen,
die Natur malen, von ihr bewegt werden, und mit aller Kraft versuchen, ihr nahe zu kommen,
welche Torheit, ja, weldie Sdiande! Wenn man doch eine Tradition besitzt, die allem genügt,
die sidi selbst genügt, die ein geschlossenes System ist, wie das Universum, wo nidrfs ersdraffen
und nidrfs vernidntef wird, eine Tradition dem Tiere gleidr, das sidr in den Sdrwanz beihf und
sidr nun für einen undurchdringlichen und vollkommenen Kreis hält!
Während so die Theorien, die Doktrinen, die Ästhetiken, die Metaphysiken und Physio-
logien der Kunst eine auf die andere folgten, entfaltete sich das Werk Renoirs Jahr auf Jahr
und Tag auf Tag so einfadr und selbsfverständlidr, wie eine Blume ihre Blüte ersdrliehf und
eine Frudrt zur Reife kommt. Renoir hat nicht daran gedadrf, „sein Sdricksal zu erfüllen“.
Er hat gelebt und gemalt. Er hat seinem Beruf obgclegen. Darin liegt vielleidrf sein ganzes
Genie. So ist audr sein Leben und sein Werk eine Unterrichtsstunde inr Glück. Er hat mit
Freude gemalt, mit soviel Freude, da^ er sie nicht in alle Winde zu schreien braudrte, wie die traurigen
Maler, die sie mit soviel Lyrik proklamieren. Er hat Frauen, Kinder, Bäume, Blumen mit der
bewundernswerten Aufridrtigkeit eines Mannes gemalt, der glaubt, dalj die Natur sich so einfadr
seiner Palette darbiefef, als sei sie seif aller Ewigkeit geschaffen worden, um gemalt zu werden.
* In seiner Vorrede zu dem großen Katalog der Ausstellung von vierzig Meisterwerken Renoirs 1915 in der Galerie Bernheim-Jeune.

328
 
Annotationen