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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Oktober-Heft
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Brieger, Lothar: Zum Thema: Kunsterziehung
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Wygodzinski, Willy: Zur Soziologie der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0113

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eigentlich ist. Damit, dab wir sie als die Ge-
samtheit aller in ihrer Art vollkommenen Dinge
aller Zeiten sehen, sehen wir nur ihre Gesdiidrfe,
nicht aber die Kunst selbst. Eine Zeit, die so
beweibt absolut in allem die Kunst will, wie die
unsere, rnulj also rein historisdi wollen, sie kann

nicht sich selbst wollen, sondern immer nur
Stile, Stile anderer Zeiten, und, was sie Ent-
wicklung nennt, kann garnichts anderes sein,
als systemloser Wedrsel dieser Stile bis zu
einem schlieblidren Verzidrt auf den Stil über-
haupt !

Zur Soziologie der Kunst*
Prot. Dr. Wvgodzinski (Bonn).

ER Künstler ist der einsamste Mensch;
sein Werk mub in ihm entstehen,
werden, reifen, ohne dab der Welf
zu dem Innersten der geistigen
Werkstatt Zutrift gegönnt ist, weder helfend
noch hemmend. Alleiniger Sdröpfer, durch seine
Aufgabe beglückt und allein für sie verant-
wortlich, steht er außerhalb der Mensdrheif, oft
genug diese Fremdheit, dieses Ausgeschlossen-
sein, dieses auf sidr Angewiesensein als tiefste
Tragik empfindend. Der Künstler ist anders
als die anderen, von ihnen dadurch gesdiieden,
dab seiner Seele eine Last auferlegt ist, die
er allein zu dem oft unendlich schweren Ziele
bringen kann. Wir könnten uns den Künstler
als Einsiedler auf meerumflossener Insel denken,
an seinem Wesen sdriene nidits geändert; während
der Staatsmann, der Lehrer, der Ingenieur und
wie die tausend anderen Verkörperungen mensch-
lichen Schaffensdranges heiben, ohne den Zu-
sammenhang mit der wimmelnden Umwelt nicht
denkbar sind.
Soziologie ist die Lehre von der Gesellsdraft.
Ist der Künstler das Individuum, der Einzelne
schlechthin, so entsteht die Frage, in welchem
Sinne überhaupt das Problem einer Soziologie
der Kunst, das heibt also der Beziehungen der
Kunst und des Künstlers zur Umwelt auf-
geworfen werden könne. Es sei von vornherein
bemerkt, dab das tiefste geheimnisvolle Wesen
der Sdiöpferkraft durch diese Beziehungen nicht
beeinflubb ja nicht einmal bereifet werden kann.

Das Genie ist nun freilidr das Unerklärliche
überhaupt; dem gelten auch die folgenden Er-
örterungen nicht. Wohl aber wird man sagen
können, dab die Auswirkungen dieser gegebenen
Kraft, die Formen ihrer Individuation sehr wohl
von den Verhältnissen, wenn auch nicht be-
stimmt, so doch beeindruckt werden können, in
denen der Künstler als Schaffender wie als Mensch
zu denen steht, die vor und mit ihm lebten.
Der Künstler steht im Kreise seiner Genossen,
derer, die gleich ihm um den Ausdruck ihrer
inneren Erlebnisse ringen. Jeder ist einzig, und
fr ob dem ist in jedem ein Stück der „Wieder-
kehr der Gleichen“. Tausende haben schon wie
der Kämpfer der Gegenwart — beglückt oder
verzweifelt — den Weg gesucht und gefunden.
An den Vollendeten, an denen, die wie Herakles
nach den schweren Proben der irdischen Existenz
nun an der göttlichen Vollkommenheit des Olymps
feilhaben, erbaut, tröstet, erhebt sich der neu
in den Staub der Arena Eintrefende. Sie haben
ihm Wege bereifet, leuchtende Ziele aufgesfellt.
Ein Ehrfürditiger, ein Lernender tritt er vor die
groben Meister — audi in Empörung gegen
sie kann Ehrfurcht liegen. Es ist nun einmal
so: jeder ist ein Kind seiner Zeit, das heibt
belastet und erfüllt mit dem Erbe der Jahr-
tausende vor ihm. Alles, was jemals gesdraffen
wurde, lebt im Geiste des Künstlers, wie in seinem
Blute das Blut all seiner leiblichen Ahnen spukt.
Die lidite Herrlichkeit der hellenischen Götter,
das feierlidre Schreiten der drrisflidien Heiligen
 
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