Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0321
DOI Heft:
Januar-Heft
DOI Artikel:Osthaus, Karl Ernst: Offener Brief an Herrn Karl Scheffler in Berlin
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OFFENER BRIEF
AN HERRN KARL SCHEFFLER IN BERLIN.
Sehr geehrter Herr Scheffler!
Obgleich mir der Ausspruch, mit dem Sie Ihren Aufsatz „Das Rheinland
und Berlin“*) einleifen, nicht in Erinnerung steht, so zweifle ich nicht, ihn getan
zu haben. Denn Ihre Ausführungen zeigen nur zu deutlich, da^ Sie Ärgernis
nehmen an unserm westlichen Tun, Sie haben das wohl schon damals laut
werden lassen, und der Zweck meiner Worte kann dann nicht mehr zweifelhaft
sein. Statt aber das Ungereimte der Auffassung zu empfinden, ein Mensch,
dem die Weltauffassung und sogar — Berlin offen stand, könne sich in die
Industriehölle verdammen, bloh um „die Berliner zu ärgern“, gründen Sie nun
ein System auf dieses Wort, glauben, alles, was im Rheinland geschähe, sei
von blinder Eifersucht eingegeben, und niemand hierzulande kenne ein höheres
Ziel, als Berlin zu überberlinern! Sie sehen schon im Geist die werdende
Weltstadt am Rhein, drohend, machtgebietend, eine Gefahr für die Welf, —
just so, wie die Entente sich das alte Deutschland, oder der Proletarier den
Kapitalisten vorstellt, eine Larve, schreckhaft anzusehen, doch ohne die nährenden
Kräfte einer lebendigen Seele.
Ach, warum müssen Sie, verehrter Herr, an alles Ihren Berliner Mafsstab
anlegen? Warum können Sie die Erscheinungen nicht aus ihrem Werden
begreifen? Den Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen: Sie hätten die
Gelegenheit dazu gehabt. Denn die Türen standen Ihnen offen, und, was
bei uns geschah, hat sich nicht in der Verborgenheit abgespielt. Soll ich Ihnen
ein Beispiel für die Sorglosigkeit Ihrer Informationen geben? Von allen
Skulpturen des Folkwang ist nicht eine, von allen deutschen Bildern ein
einziges aus dem Kunsfhandel erworben, und dessen Meister lebte nicht mehr.
Vom Künstler zu kaufen, war ein Grundsatz, der nur im Notfall durchbrochen
wurde. Bei vielen mir bekannten „rheinischen“ Sammlern besteht dasselbe
Verhältnis. Sie aber behaupten kühn, der rheinische Sammler verkehre lieber
mit dem Kunsthändler als mit dem Künstler. Ist Ihnen nicht bekannt, dah
es in den Ländern am Rhein einen Verband der Kunstfreunde gibt, der genau
das erstrebt, was man in Berlin dem Kunsfhandel überläßt: die Förderung
der werdenden Talente?
Es würde zu weif führen, die Irrfümer Ihres Aufsaljes einzeln aufzudecken.
Er mag aber den Anlaf, geben, das Verhältnis des Westens zur Hauptstadt
einmal von unserer Seife zu beleuchten.
*) Feuer, Heft 1, Jahrgang 1.
267
AN HERRN KARL SCHEFFLER IN BERLIN.
Sehr geehrter Herr Scheffler!
Obgleich mir der Ausspruch, mit dem Sie Ihren Aufsatz „Das Rheinland
und Berlin“*) einleifen, nicht in Erinnerung steht, so zweifle ich nicht, ihn getan
zu haben. Denn Ihre Ausführungen zeigen nur zu deutlich, da^ Sie Ärgernis
nehmen an unserm westlichen Tun, Sie haben das wohl schon damals laut
werden lassen, und der Zweck meiner Worte kann dann nicht mehr zweifelhaft
sein. Statt aber das Ungereimte der Auffassung zu empfinden, ein Mensch,
dem die Weltauffassung und sogar — Berlin offen stand, könne sich in die
Industriehölle verdammen, bloh um „die Berliner zu ärgern“, gründen Sie nun
ein System auf dieses Wort, glauben, alles, was im Rheinland geschähe, sei
von blinder Eifersucht eingegeben, und niemand hierzulande kenne ein höheres
Ziel, als Berlin zu überberlinern! Sie sehen schon im Geist die werdende
Weltstadt am Rhein, drohend, machtgebietend, eine Gefahr für die Welf, —
just so, wie die Entente sich das alte Deutschland, oder der Proletarier den
Kapitalisten vorstellt, eine Larve, schreckhaft anzusehen, doch ohne die nährenden
Kräfte einer lebendigen Seele.
Ach, warum müssen Sie, verehrter Herr, an alles Ihren Berliner Mafsstab
anlegen? Warum können Sie die Erscheinungen nicht aus ihrem Werden
begreifen? Den Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen: Sie hätten die
Gelegenheit dazu gehabt. Denn die Türen standen Ihnen offen, und, was
bei uns geschah, hat sich nicht in der Verborgenheit abgespielt. Soll ich Ihnen
ein Beispiel für die Sorglosigkeit Ihrer Informationen geben? Von allen
Skulpturen des Folkwang ist nicht eine, von allen deutschen Bildern ein
einziges aus dem Kunsfhandel erworben, und dessen Meister lebte nicht mehr.
Vom Künstler zu kaufen, war ein Grundsatz, der nur im Notfall durchbrochen
wurde. Bei vielen mir bekannten „rheinischen“ Sammlern besteht dasselbe
Verhältnis. Sie aber behaupten kühn, der rheinische Sammler verkehre lieber
mit dem Kunsthändler als mit dem Künstler. Ist Ihnen nicht bekannt, dah
es in den Ländern am Rhein einen Verband der Kunstfreunde gibt, der genau
das erstrebt, was man in Berlin dem Kunsfhandel überläßt: die Förderung
der werdenden Talente?
Es würde zu weif führen, die Irrfümer Ihres Aufsaljes einzeln aufzudecken.
Er mag aber den Anlaf, geben, das Verhältnis des Westens zur Hauptstadt
einmal von unserer Seife zu beleuchten.
*) Feuer, Heft 1, Jahrgang 1.
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