Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0615
DOI Heft:
April-Heft
DOI Artikel:Keim, Heinrich Wilhelm: Hans Franck
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HANS FRANCK
DR H. W. KEIM
Gol enist hie noch da, in zit noch in stat*,“ predigte Meister Eckhard der
r systematischste unter den mittelalterlichen Mystikern: Gott ist weder hier
noch da; er ist weder an die Zeit noch an den Raum gebunden. Wer sagt:
Gott ist dies oder das, der greift stets an Gottes Wesen vorbei. Denn Gott ist auch
das Nein zum Ja, ist das Gute und das Böse, ist der anschauende Geist und das
wirksame Leben. Gott ist alles Schöpferische, das je im Menschen sich geregt, im
Gebenden und im Empfangenden, im Dichter und im Nachfühlenden, im Werk-
schaffenden und im Werkschauenden. Er lebt in allen Zeiten und allen Völkern, in
allem Glauben und allem Tun, das aus seinem unsterblich göttlichen Wesen geboren
ist; er lebt in jedem, der stark und demütig zugleich das kosmisch Schöpferische in
sich fühlt. In ihm stehen der Tatenmensch, der Duldensmensch, der Geistesmensch
und der Glaubensmensch brüderlich vereint. Sie alle umfängt der weite Mantel
Gottes; sie alle treibt das Wollen Gottes. Sie alle erglühen im Gefühl der Berufung,
unendliche Priester des unendlichen Geistes zu sein, als Propheten Gottes ihr
Leben zu einem Zeugnis Gottes zu leben, so wie der Geist es ihnen eingab, so
wie ihr Lebensschicksal, wie die Weltvernunft, jener unerdenkbare, nur im wahrhaft
Menschlichen erlebbare Logos es jedem knüpfte. Gottes voll sein heifd ein Kämpfer
sein und dabei die Stille des Göttlichen in sich tragen, heifyt Menschliches zer-
schlagen, ohne das Menschsein aufzugeben, heilst Geist sein, ohne im Geist als
Geistiges aufzugehen. Denn Menschsein ist: an der Vollendung Gottes schaffen.
Fernab aber liegt dieser Berufung des Menschlichen Stolz und Eitelkeit über
sein Amt. Nur wer durch alle Tiefen der Selbsfenfäu|erung gegangen, den kann
Gott mit sich begnaden. So erscheint die Menschheit als eine Dialektik des Gott-
geistes. Fichte suchte diese Dialektik aus der Moral, Hegel aus der Logik der
Menschheitsgeschichte philosophisch zu entwickeln. Wie der einzelne Mensch diesen
Zwiespalt der Ideen in seiner Seele erlebt, ist das Problem in Hebbels Kunst. Und
dieser Fragestellung steht Hans Francks Werk nahe.
Aller Tageslärm, alle Mode und Richtung ist da bedeutungslos. Es handelt
sich immer nur um den einen, reinen Menschen, den das Gefühl seiner mensch-
lichen Schranken und das Ahnen von göttlichem Allumfassen aus der Bahn seines
Lebens zu schleudern droht. So gesehen, steigt Hans Francks Schaffen mit einer
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DR H. W. KEIM
Gol enist hie noch da, in zit noch in stat*,“ predigte Meister Eckhard der
r systematischste unter den mittelalterlichen Mystikern: Gott ist weder hier
noch da; er ist weder an die Zeit noch an den Raum gebunden. Wer sagt:
Gott ist dies oder das, der greift stets an Gottes Wesen vorbei. Denn Gott ist auch
das Nein zum Ja, ist das Gute und das Böse, ist der anschauende Geist und das
wirksame Leben. Gott ist alles Schöpferische, das je im Menschen sich geregt, im
Gebenden und im Empfangenden, im Dichter und im Nachfühlenden, im Werk-
schaffenden und im Werkschauenden. Er lebt in allen Zeiten und allen Völkern, in
allem Glauben und allem Tun, das aus seinem unsterblich göttlichen Wesen geboren
ist; er lebt in jedem, der stark und demütig zugleich das kosmisch Schöpferische in
sich fühlt. In ihm stehen der Tatenmensch, der Duldensmensch, der Geistesmensch
und der Glaubensmensch brüderlich vereint. Sie alle umfängt der weite Mantel
Gottes; sie alle treibt das Wollen Gottes. Sie alle erglühen im Gefühl der Berufung,
unendliche Priester des unendlichen Geistes zu sein, als Propheten Gottes ihr
Leben zu einem Zeugnis Gottes zu leben, so wie der Geist es ihnen eingab, so
wie ihr Lebensschicksal, wie die Weltvernunft, jener unerdenkbare, nur im wahrhaft
Menschlichen erlebbare Logos es jedem knüpfte. Gottes voll sein heifd ein Kämpfer
sein und dabei die Stille des Göttlichen in sich tragen, heifyt Menschliches zer-
schlagen, ohne das Menschsein aufzugeben, heilst Geist sein, ohne im Geist als
Geistiges aufzugehen. Denn Menschsein ist: an der Vollendung Gottes schaffen.
Fernab aber liegt dieser Berufung des Menschlichen Stolz und Eitelkeit über
sein Amt. Nur wer durch alle Tiefen der Selbsfenfäu|erung gegangen, den kann
Gott mit sich begnaden. So erscheint die Menschheit als eine Dialektik des Gott-
geistes. Fichte suchte diese Dialektik aus der Moral, Hegel aus der Logik der
Menschheitsgeschichte philosophisch zu entwickeln. Wie der einzelne Mensch diesen
Zwiespalt der Ideen in seiner Seele erlebt, ist das Problem in Hebbels Kunst. Und
dieser Fragestellung steht Hans Francks Werk nahe.
Aller Tageslärm, alle Mode und Richtung ist da bedeutungslos. Es handelt
sich immer nur um den einen, reinen Menschen, den das Gefühl seiner mensch-
lichen Schranken und das Ahnen von göttlichem Allumfassen aus der Bahn seines
Lebens zu schleudern droht. So gesehen, steigt Hans Francks Schaffen mit einer
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