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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Hoeber, Fritz: Objektive Kunstbetrachtung und subjektive Kunstpolitik
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Entwurf zu Kursen für Kunstbetrachtung, für Kunstkritik und Kunstpolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0302

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Aufgabe der Kunstkritik wird sein, immer die richtige Mitte zu halten zwischen akademischer Kunst-
betrachtung, die nidrts mehr als sadrlidre Grundlage sein darf, und lebenserfüllter Kunstpolitik,
hier gleichzeitig das wertvoll Zukunftsreiche heraushebend, das schnell vorübergehende Alltagsgebilde
aber als belanglos bei Seite sdiiebend: für die jugendstarke neue Kunst, aber gegen eine
oberflädtlidre neue Mode!
Kritik wird dann nidit Lob oder Tadel einzelner Kunstwerke oder einzelner Künstler bedeuten.
Sondern diese Kritik als schöpferisches Erlebnis einer starken Persönlichkeit ist die künstlerische
Auseinandersetzung mit dem ganzen Kulturumkreis unserer Zeit, die geistig umfassendste
Synthese, die allein unter den zeitlidren Werten die ewigen zu erkennen vermag.

*
ENTWURF ZU KURSEN FÜR KUNSTBETRACHTUNG, FÜR
KUNSTKRITIK UND KlINSTPOLITIK.
Nach obigen Ausführungen besteht die Aufgabe der Kunstkritik in der Mitarbeit an einer kiinstlerisdr gerichteten
Kultursynthese. Sic kann dagegen nidit in dem für Künstler, Kritiker und Publikum gleidi entwürdigenden
schulmeisterhaften Zensieren sämtlicher auf dem Kunstmarkt auftaudienden Produktionen bestehen, die hierdurch in
ihrer Preishöhe bestimmt werden sollen. Diese wirtschaftliche Beeinflussung von Kunstangebot und -nachfrage möge
künftighin dem Reklamefeil der Presse überlassen werden, als bezahlte Annonce oder als unbezahlter „Waschzettel“>
wo soldie Ankündigung allein hingehört und wo ihre Verbindlichkeit für die Allgemeinheit von vornherein wegfällt.
Der ernsthafte Kunstaufsab aber hat sidi nidit mehr mit den tausenderlei Tageserscheinungen eines vor allem wirt-
schaftlich bestimmten Kunstmarkfs zu beschäftigen, sondern allein mit dem Wesentlichen: mit dem, was zum Aufbau
unserer Gesamtkultur beifragen kann. Dadurch wird zugleich das Feuilleton entlastet und in ihm Plab geschaffen
für eine grobzügige Geisfespolitik.
Um diese grundsätzliche kritisdie Neueinstellung in der Anschauung der künstlerisch interessierten Allgemeinheit vor-
zunehmen, sei hier der Plan zu einer Organisation entwickelt, wie sie ähnlich Frib Widierf in seinem Mannheimer
„Freien Bund zur Einbürgerung der bildenden Kunst“, in seiner „Akademie für Jedermann“ und dem beiden Ver-
einigungen dienenden „Kunstwissenschaftlichen Institut“ an der Mannheimer Kunsthalle bereits verwirklicht hat.
Die neuen Kurse für Kunsfbefraditung, Kunstkritik und Kunstpolifik sollen „Kunstkritiker“ ausbilden. Nadr den
obigen Ausführungen wird dieser Begriff alle Kunstbetrachtenden im weitesten Umkreis umfassen, nicht nur den
kritisdren Sdrriftsteller, sondern audi das ganze Publikum und den Künstler selbst — soweit er Betradrter fremder
oder alfer Kunstwerke ist.
Grundlage der Schule wird eine allgemeine Abteilung für Kunst- und Kulfurphilosophie sein müssen: Sie hat sidr
mit dem Begriff der Kunstwerke wie dem der ästhetischen Erkenntnis zu beschäftigen, um zu objektiven Synthesen im
Sinn individueller Kunstleistungen aller Zeiten und Völker zu erziehen. Anleitung dazu können Werke wie Brodcr
Chrisfiansens »Philosophie der Kunst« oder Moriij Geigers »Phänomenologische Untersuchungen« geben.
Um nun die eigentlichen Kulfurwerke, auf Grund deren das entscheidende Urteil zu fällen ist, sidr in ihrer ganzen
Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit vorzuführen, gilt es, sidr die groben kulturwissensdraftlidren Zusammenhänge
wesentlich klar zu machen, nidit nur in der gerichtlichen Art, wie sie Lamprecht pflegte, sondern auch philosophisch-
analytisdr unter stärkstem Bezug auf die Gegenwart, wie sie in den Werken von Georg Simmel, Walther Rathenau,
Oswald Spengler verwirklicht erscheint.
Diese vorbereitende Abteilung wird für sämtliche ernsthafte Teilnehmer der Ausbildungskurse zu durchlaufen sein,
bevor sie sidr den einzelnen Fachabfeilungen für Kritik fest verpflichten: Lebfere gliedern sidr, wie iiblidr, nach
den verschiedenen Künsten 1. Musik, 2. Dichtung, 3. Theater und Tanz, 4. Bildende Künste, diese dann wieder in die
drei Unterabteilungen, Malerei und Zeichnung, Plastik, Architektur und Kunsfgewerbe, zerfallend.
In all den vier Abteilungen soll von fachmännischer Seite das Wesen der Einzelkünste in seinem gesdridrtlidren Werden,
seinen tedrnischen Voraussetzungen, seinen geistigen und formalen Ergebnissen dargesfellt werden. Möglichst unter
gleidrzeitiger Hinzunahme praktisdrer Übungen: sei es, dalj in der Kunst selbst Versuche unternommen werden, sie

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