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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Schmidt, Leopold: Die Zukunft der Sinfonie
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0079

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DIE ZUKUNFT DER SINFONIE.

Dr. Leopold Schmidt.


O wenig sich die künftige Entwicklung einer Kunst — bei ihrer Abhängigkeit
von den Eingriffen der ewig unberechenbaren sdröpferisdren Persönlichkeit —
auch nur einigermaßen mit Bestimmtheit voraussehen läßt, so begreiflidr ist die
Neigung künstlerisch interessierter Mensdren, ihre mutmaßliche Beschaffenheit
zum Gegenstand thcoretisdier Betradrtungen zu machen. Auf musikalischem
Gebiet ist es nidit nur das Drama, sondern fast mehr noch die selbständige sinfonisdre Tonkunst,
die soldie Zukunftsfragen nahe legt. Sie steht treibend im Mittelpunkt der praktisdren Musik,
übt nach wie vor die stärkste Anziehungskraft auf weiteste Kreise aus und sdreint dodr, nadr
einer verhältnismäßig kurzen Zeit reidrster Blüte, sich in ihren Formen und Ausdrucksmöglichkeiten
bereits erschöpft zu haben. Die moderne Oper zeigt eine gewisse Tendenz, die konventionell
gewordene Sphäre ihrer weltfremden Phantastik zu verlassen und wie das literarische Drama
neue Lebenskräfte aus der Wirklidrkeit zu gewinnen. In der Sinfonie begegnen wir mandrerlei
Experimenten, aber keinen eigentlich neuen, grundlegenden Ideen mehr.
Die unmittelbar auf Ridrard Wagner stehende Epodre hatte eine überraschende Wendung
gebradrt. Der größte musikalisdre Dramatiker nidrt nur der Neuzeit fand wohl Schüler und
Nadrahmer, aber keinen audi nur annähernd ebenbürtigen Nadrfolger. Sein Einfluß erstreckte
sidr mehr auf Stil und Ausdruck der Musik im allgemeinen als auf die Art des Schaffens.
Sein „Musikdrama“ blieb wider Erwarten ein für sich abgesdrlossener Gipfel, kein Ausgangspunkt
einer neuen Entwicklung. Seine gigantisdre Erscheinung wirkte wie jedes unerreidrbare Vorbild
lähmend auf eine junge Künstlergeneration, die sidr mit äußerlidier Nadrahnrung nidrt begnügen
wollte und doch noch nicht den Mut und die Kraft zur Abkehr in sidr fühlte. Die Produktion
versiegte zunädrst, und die Oper trat, in Deutschland wenigstens, vorübergehend in den Hintergrund.
Es kam die Zeit, in der das Verständnis für Brahnrs und Bruckner sidr auch in die Massen
verbreitete, wo das Konzertleben seinen größten Aufsdrwung nahm, wo ein Wagnerianer wie
Gustav Mahler sidr zur absoluten Sinfonie bekannte und der bedeutendste lebende Komponist,
Ridrard Strauß, nidrt mit seiner Oper „Guntram“, sondern mit Ordresterwcrken seine ersten
Triumphe feierte. Die Errungensdraften Wagners waren unmittelbar der Instrumentalmusik zu
gute gekommen.
Seit der Jahrhundertwende etwa hat sidr dann das Bild geändert. Wir sind jeßt nidrt
mehr auf Anregungen aus dem Ausland angewiesen, wir haben wieder eine einheimische Opern-
produktion von eigener Bedeutung, aber sie dominiert nidrt wie in den Tagen Wagners, sic
spiegelt nidrt allein den Geist der Zeit und nimmt nicht alle Quellen in sich auf. Neben der
Oper steht auch die Ordrester-, ja selbst die Kammermusik in ansehnlicher Blüte. Und wie in
der Oper das Orchester sidr immer mehr zu einem sinfonisdren Ausdrucksnrittel entwickelt hat,
so hat umgekehrt die Sinfonie den ganzen Farbenreidrtunr, die ganze Empfindungsskala der
darstellenden Kunst in sidr aufgenonrnren. Die Zukunft unserer Musik ist deshalb in hohem
Grade von der Entwicklung der reinen Instrumentalformen abhängig. Das beweist nidrt nur die
bedeutsame Stellung der Sinfoniekonzerte in unserem Musikleben; das muß jedem einloudrten,
der nidrt einseitig im Dramatisdren das Endziel und den hödrsten Gipfel alles Kunstsdraffens
sieht, und der auf die wundervolle Mannigfaltigkeit des musikalischen Gestaltungsvermögens
nicht zu verzidrten vermag. Die Frage ist nur: wie wird der Ausdruck unseres Empfindens
weiterhin sinfonische Gestalt annehnren? Der Kampf des Formalen mit dem Phantastischen,
des Rein-Musikalisdren mit dem poetisdr Vorstellbaren ist noch nidrt ausgekänrpft. Die Beziehungen
von Form und Inhalt bilden nach wie vor ein Problem, dessen Lösung jeden sinfonisdr sdraffenden
Musiker inr Innersten beschäftigen muß.

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