Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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Oktober-Heft
DOI Artikel:Flechtheim, Alfred: Mein Freund Nauen
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MEIN FREUND NAUEN.
Alfred Flechtheim.
Die Reproduktion der Werke Heinrich Nauen's geschieht mit Genehmigung der Galerien Flechtheim und Gurlitt.
CH weih nicht, ob Paul Cassirer je
über Max Liebermann geschrieben
hat, oder Haberstock über klassisch
gewordene deutsche Malerei des
19. Jahrhunderts, oder Felix Fcneon über Georges
Seurat, der sein Freund war und dessen Bilder
er bei sich aufhing, nicht die des Cezanne
obwohl er die Wahl hatte. Die schönsten
Bücher über die Impressionisten schrieb Theodore
Duret. Er hatte für die Kunst eines Manet und
Monet, Renoir und Degas gestritten, und seine
Wände waren geschmückt mit Werken dieser
Maler. Das beste Budi über Cezanne schrieb
sein Händler, Ambroise Vollard, und das schönste
Buch über einen
Maler unserer
Zeit Wilhelm
Uhde über Henri
Rousseau. LIhde
kannte und liebte
den alten Zöllner
und sammelte
seine Bilder und
hing sie bei sich
auf und lebte mit
ihnen und mit
Bildern Picassos.
Deutsche Kunst-
historiker (und
andere) beläs-
tigten tagtäglich
den Sammler und
den Maler und
wurden, schlau wie sie gekommen waren, wieder
zur Tür hinauskomplimentiert. Und dodi schrieben
sie dicke Bücher über den Kubismus und über
Picasso, über Formzertrümmerung*) und ähn-
liches, und die sind voll von Schulmeister-
gelehrtheiten und Mißverständnissen. —
Nirgends wird soviel über Malerei geschrieben
wie in Deutschland. Nirgends erscheinen so
viele Kunstzeitschriften. Die zwanzigste kämpft
für den Kitsch, die dreißigste für die Impres-
*) Edwin Suermondt «Der Zauberlehrling,- Rheinlandc
XIX. Sepf.'Okt. 1919.
sionisfen, eine andere endlich für die lebende
Kunst. Nirgends werden, selbst Malern, die
hinter den Ohren noch nicht trocken geworden
sind, so dicke Monographien gewidmet, wie
bei uns. Nun sdireibc idi über Nauen, keine
Monographie und keine Kritik, keine Lobhudelei
und keine Zumraffaelstempelei. Ich schreibe über
Nauen, meinen Freund.
Andere sind berufener, als ich. Der rheinisdie
Gelehrte Dr. Walter Cohen, dem ich die Freund-
schaft mit Nauen verdanke, oder Dr. Walter
Kaesbach, Nauens Freund seit den Berliner Tagen.
Cohen, der in der Kunstchronik, zuerst bereits
1908 auf den Künstler mit Nachdruck hingewiesen
hatte, schriebl910
in dieser Zeit-
schrift anläßlidi
einer Sonder-
bundausstellung
(v. 28. 10. 10):
„VonNauen weiß
ich wohl, daß die
hauptstädtische
Kunstkritik fast
einmütig sein
Schaffen ablehnt,
mit einer Feind-
seligkeit beinahe,
die an ver-
gangene Zeiten
kunstkritisdier
Prozeß-Führung
erinnert. Audi in
Düsseldorf scheint es ihm nicht beschieden zu
sein, mit den beiden Landschaften aus Visc
in Belgien seiner Kunst viele neue Freunde zu
schaffen. Es schien eine Zeitlang, als ob es
Nauen troff ehrlichstem Streben nicht gelingen
wollte, den übermächtigen Einfluß Vincent van
Gogh’s abzuschütteln. Die neuesten Produk-
tionen, zu deren glücklichsten die leider nicht im
Sonderbund vertretenen Blumenstücke *) zählen,
zeigen jedodi ein so mächtiges Erstarken seiner
*) Ein Stilleben hatte die Jury ruriiekgewiesen; es schmückt nun
Dr. Cohen’s Heim.
Zeichnung. ., Nied c rrh c in isch c L a ri d sch a f t L
Sammlung Dr.' Kaesbach,'Berlin.
28
Alfred Flechtheim.
Die Reproduktion der Werke Heinrich Nauen's geschieht mit Genehmigung der Galerien Flechtheim und Gurlitt.
CH weih nicht, ob Paul Cassirer je
über Max Liebermann geschrieben
hat, oder Haberstock über klassisch
gewordene deutsche Malerei des
19. Jahrhunderts, oder Felix Fcneon über Georges
Seurat, der sein Freund war und dessen Bilder
er bei sich aufhing, nicht die des Cezanne
obwohl er die Wahl hatte. Die schönsten
Bücher über die Impressionisten schrieb Theodore
Duret. Er hatte für die Kunst eines Manet und
Monet, Renoir und Degas gestritten, und seine
Wände waren geschmückt mit Werken dieser
Maler. Das beste Budi über Cezanne schrieb
sein Händler, Ambroise Vollard, und das schönste
Buch über einen
Maler unserer
Zeit Wilhelm
Uhde über Henri
Rousseau. LIhde
kannte und liebte
den alten Zöllner
und sammelte
seine Bilder und
hing sie bei sich
auf und lebte mit
ihnen und mit
Bildern Picassos.
Deutsche Kunst-
historiker (und
andere) beläs-
tigten tagtäglich
den Sammler und
den Maler und
wurden, schlau wie sie gekommen waren, wieder
zur Tür hinauskomplimentiert. Und dodi schrieben
sie dicke Bücher über den Kubismus und über
Picasso, über Formzertrümmerung*) und ähn-
liches, und die sind voll von Schulmeister-
gelehrtheiten und Mißverständnissen. —
Nirgends wird soviel über Malerei geschrieben
wie in Deutschland. Nirgends erscheinen so
viele Kunstzeitschriften. Die zwanzigste kämpft
für den Kitsch, die dreißigste für die Impres-
*) Edwin Suermondt «Der Zauberlehrling,- Rheinlandc
XIX. Sepf.'Okt. 1919.
sionisfen, eine andere endlich für die lebende
Kunst. Nirgends werden, selbst Malern, die
hinter den Ohren noch nicht trocken geworden
sind, so dicke Monographien gewidmet, wie
bei uns. Nun sdireibc idi über Nauen, keine
Monographie und keine Kritik, keine Lobhudelei
und keine Zumraffaelstempelei. Ich schreibe über
Nauen, meinen Freund.
Andere sind berufener, als ich. Der rheinisdie
Gelehrte Dr. Walter Cohen, dem ich die Freund-
schaft mit Nauen verdanke, oder Dr. Walter
Kaesbach, Nauens Freund seit den Berliner Tagen.
Cohen, der in der Kunstchronik, zuerst bereits
1908 auf den Künstler mit Nachdruck hingewiesen
hatte, schriebl910
in dieser Zeit-
schrift anläßlidi
einer Sonder-
bundausstellung
(v. 28. 10. 10):
„VonNauen weiß
ich wohl, daß die
hauptstädtische
Kunstkritik fast
einmütig sein
Schaffen ablehnt,
mit einer Feind-
seligkeit beinahe,
die an ver-
gangene Zeiten
kunstkritisdier
Prozeß-Führung
erinnert. Audi in
Düsseldorf scheint es ihm nicht beschieden zu
sein, mit den beiden Landschaften aus Visc
in Belgien seiner Kunst viele neue Freunde zu
schaffen. Es schien eine Zeitlang, als ob es
Nauen troff ehrlichstem Streben nicht gelingen
wollte, den übermächtigen Einfluß Vincent van
Gogh’s abzuschütteln. Die neuesten Produk-
tionen, zu deren glücklichsten die leider nicht im
Sonderbund vertretenen Blumenstücke *) zählen,
zeigen jedodi ein so mächtiges Erstarken seiner
*) Ein Stilleben hatte die Jury ruriiekgewiesen; es schmückt nun
Dr. Cohen’s Heim.
Zeichnung. ., Nied c rrh c in isch c L a ri d sch a f t L
Sammlung Dr.' Kaesbach,'Berlin.
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