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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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November- Dezember-Heft
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Boehn, Max von: Revolution und Mode
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0205

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REVOLUTION UND MODE.

Max von Bochn.

I I den Novemberfagen 1918 ist
schon wiederholt die Frage auf-
geworfen worden, ob die Revolution
/vohl einen Einfluh auf die Mode
ausüben werde? Man darf sie ohne weiteres
verneinen. Demokratie und Mode haben viel
miteinander zu tun, Revolution und Mode nidrts.
Das ist merkwürdig und sollte denen zu denken
geben, die sidr immer bemühen, in den Moden
der Vergangenheit „organische Produkte gleidi-
zeitiger Kulfurperioden“ zu sehen. Von keiner
der uns historisdi bekannten Revolutionen leiht
sidi aber nadiweisen, dah sic einen Einfluh auf
Mode und I radif ausgeübt hätte. Politisdie
Revolutionen sind nichts anderes als der Sdilub-
stridi unter eine mehr oder minder lange Reihe
von Fehlern, die andere gemacht haben. Sic
liyuidieren in erster Reihe ein Gesdiäft, das
sidi nidit mehr halfen kann. Das Neue, das
daraus entstehen wird, kommt erst an zweiter
Stelle in Befradif. Man beginnt damit ein
neues Konto, wenn auch mit einem Saldo aus
der alten Redmuny, der immer unter die Passiva
zu budien ist.
Die groben Revolutionen hingen mit der Mode
zusammen, wie sie sdilieblich mit allen Fragen
der Kultur verknüpft sind. Die Beziehungen
indessen, die zwischen ihnen obwalten, kündigen
sidi vorher an, nicht nadiher. Der englische
Bürgerkrieg war noch nidit ausgebrochen, Karl I.
trug nodi Kopf und Krone, da kleideten sich
die künftigen Feinde sdion ganz verschieden,
die royalistisdien Kavaliere bunt und zierlidi mit
Spihen und Federn, die Puritaner schmucklos
und unansehnlidi, die einen mit langen, die
andern, die „Rundköpfe“ mit kurz gesdiniffenen
Haaren. Dieser Unfersdiied der Kleidung kam
auch in der Damentoiletfe zur Geltung, aber er
war sdion vorhanden, als nodi niemand in
England an eine Revolution dachte. Die gleidie
Ersdieinung beobaditef man im adifzehnten Jahr-
hundert. Wie der geistige Umschwung, durch
den die Enzyklopädisten die Ideen des ancien
regime zu Fall bradifen, Jahrzehnte vor dem

Ausbruch der politisdien Revolution einsebte,
so ging audi der Wediscl in der Mode der
Erklärung der Menschenrechte voraus. „Freiheit,
Gleidiheif, Brüderlichkeit.“ Die Revolution ver-
spradi sie, weil man immer viel verspridit, wenn
man wenig halfen kann. Mit der Freiheit war
cs nichts, mit der Brüderlichkeit audi nidit, nur
die Gleichheit ist gekommen, weil die Mode sic
der Mensdiheit besdiert hat.
Die, Ideen der Voltaire, Rousseau, Diderot
stammten ihrem Ursprünge nadi aus England.
Sie wurden in Frankreidi nur für den kon-
tinentalen Gebraudi zurecht gemadif. Ebenso
geht es mit der Mode. Das Kleid des eny-
lisdien Bürgers verdrängt dashabit ä la francaise,
das man in der vornehmen französischen Gesell-
schaft trug, eine Tatsache, die Pariser Mode-
journalc schon mehrere Jahre vor dem Zusammen-
tritt der Generalstände fcstsfcllen. Der sdiliditc
unauffällige Anzug von Puch, das unycpudertc
natürliche Haar, der besdieidene FJIzhut treten
an die Stelle von Samt und Seide, künsflidier
Lockengebäude und befiederter Dreimaster. Das
französische Kostüm, wie cs zu den Zeiten
Ludwig XIV., Ludwig XV. und Ludwig XVI.
die europäisdie Mode beherrscht hatte, war im
höchsten Grade aristokrafisdi und individuell.
Es lieh dem Träger in der Wahl der Stoffe,
Farben und Verzierungen, nicht der Schnitte,
eine persönlidie Freiheit, wie wir sie uns heute
kaum noch verstellen können. Der englisdie
Anzug beschniff diese Freiheit in ganz emp-
findlicher Weise. Er ist sdion demokratisch,
lange ehe es im politischen Sinne Demokraten
gegeben hat. Diese Bewegung ist durdi die
Revolution nicht einmal sehr beschleunigt worden,
wie sie andererseits auch nicht aufgehalfen
werden konnte, frohdem sidi Napoleon I. und
die auf ihren Thron zurückgeführten Bourbonen
Mühe genug darum gegeben haben.
Es ist merkwürdig genug, dalj, obwohl die
Revolutionäre ex officio keinen Einfluh auf
die Kleidung auszuüben versudifen, sidi weder


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