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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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November- Dezember-Heft
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Boehn, Max von: Revolution und Mode
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0206

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die englisdien Puritaner nodi die französischen
Republikaner in anderer Hinsidit davon zurück-
halten lieben, gegen alles feindlidi vorzugehen,
was an Kulturgütern aus der alten Zeit vor-
handen war. Das Parlament beauftragte damals
eigene Kommissionen damit im Lande herum-
zureisen, um die sdiönen alten Glasfenster der
Kathedralen, soweit sie den Klostersturm des
sedizehnten Jahrhunderts überdauert hatten, sorg-
fältig zu zersdrlagen. Von London begab sich
eine besondere Abordnung zu diesem Zwecke
nadi Canterbury, dessen köstlidie Kathedrale
ihre berühmten Sdieiben erst damals ein-
biibtc. Als die Puritaner zur Herrsdiaft ge-
langt waren, haben ihre führenden Persönlidi-
keiten sogar auf die bis dahin beobachtete
Einfadrheit in der Kleidung verziditet, Gromwell
und sein Gefolge griffen zu Seide, Stickereien
und Spiben, die sic bis dahin verschmäht
hatten. Selbst von der groben französischen
Revo lution, die doch vor nidits Halt madrte,
was der Vergangenheit und dem verhaßten
Königtum angehörte, die sich selbst gegen den
alten Kalender so feindselig verhielt, ist keine
Wirkung auf die Kleidung ausgegangen. Sergenf,
der Präsident der Sociefc populaire des Arts,
erklärte: „Viel zu lange haben wir ein Sklaven-
kleid getragen, es gilt jebt eine Tradif zu
sdiaffen, die uns von jedem Zwang befreit
und die schönen Körperformen nicht verhüllt."
Zu diesem Zwecke schien dem sonderbaren
Sdiwärmer nichts geeigneter als die langen
und weiten Hosen des Sansculotten und die
kurze schoblosc Jacke, die man Carmagnole
nannte. Dieses Kostüm, von dem nidit ein-
zusehen ist, wie es dazu dienen soll, schöne
Formen zu zeigen, wollte er außerdem noch
durdr Holzpantinen vervollständigen. Er sank-
tionierte damit gewissermaßen die Tracht des
gemeinen Volkes, das die Straße beherrschte
und den Madifhabern seine Gesebc diktierte.
Nidit glücklicher war der berühmte Maler Jacques
Louis David, der etwa ein Menschenalfer hin-
durch die französische Kunst absolut souverän
beherrsdife. Er gab sich die größte Mühe,
seinen Landsleuten die Kniehosen, Halsbinden,
Mansdietten, Hüte zu verleiden und ihnen
dafür einen Kittel annehmbar erscheinen zu
lassen, den er nach der Antike zuredifgeschnitten

hatte. Dieses Kleidungsstück hatte ungefähr
die Form eines ziemlich kurzen Herrennadithemdes
mit halblangen Ärmeln. Der gefeierte Tragöde
Talma trug dieses echt klassische Gewand zu-
erst auf der Bühne, als er 1789 in Voltaires
»Brutus« als Tribun Proculas auftrat. Als er
bei der Aufführung seiner Partnerin Mme. Vestris
unvorbereitet gegenüber trat, flüsterte ihm diese zu:
„Talma, Sie haben ja bloße Arme!"
„So gingen die Römer!"
Nach einem prüfenden Blick über seine Gestalt
flüsterte sie nodi enfsebfer:
„Talma, um Gotteswillen, Sie haben ja keine
Hosen an!"
„Die Römer kannten sie nidit!"
„Schwein," sagte sic entrüstet und drehte
sidi weg.
Der Erfolg, den David beim groben Publikum
hafte, war nicht gröber. Wenn er Umzüge zur
Feier des höchsten Wesens veranstaltete, so
konnte er zwar durdiseben, daß die Kohorten
der Knaben, Jünglinge, Männer und Greise
sieh seinen Vorsdiritfen enfsprcdiend anzogen,
in der bürgerlichen Alltagswelt errang sidi diese
Kleidung keine Stätte. Im Gegenteil, bizarrer
und übertriebener als die Männerwelt sieh unter
der ersten französisdien Republik getragen hat,
war sic seifen gekleidet.
Audi die Damenmode der Zeit, die man so
gern als eine besonders bezeidinende Äußerung
klassisch-republikanischen Geistes auffaßt, hatte
mit der Antike nichts zu tun. Das Enge und
Knappe derselben war nur die selbstverständliche
Reaktion gegen die Weite des Reifrocks, der
das ganze Jahrhundert beherrscht hatte. Ein
natürlidier Vorgang, der sieh in der Mode mit
grober Regelmäßigkeit wiederholt und die Damen
auch dann im lebten Jahrzehnt des achtzehnten
Jahrhunderts lang und schlank gemacht haben
würde, wenn sie nicht hätten ä Fanfique gehen
wollen. Dieses Kleid mit der hohen Gürtung,
Chemise genannt, wurde sdion seit etwa zwei
Jahrzehnten allgemein als Neglige getragen, als
es die Sängerin Mme Saint-Huberfy gegen die
heftigsten Widerstände der Intendanz, der Kritik
und der Kolleginnen um 1785 auf der Bühne
einführte und ihm durch einfaches Weglassen
der Unterkleidung ein klassisches Gepräge gab.
 
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