Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0461
DOI Heft:
März-Heft
DOI Artikel:Waetzoldt, Wilhelm: Georg Forsters "Ansichen vom Niederrhein"
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GEORG FÖRSTERS
„ANSICHTEN VOM NIEDERRHEIN"
Wi [heim Wa e h o I d'-t
In anderen, auch in den besten deutschen Schriften, fühlt man Stubenluft,"
sagt Fr. Schlegel in seinem liebevollen Charakterbilde Georg Försters (1797).
Das romanhaftbewegte Leben dieses echten Sohnes des 18. Jahrhunderts ist be-
kannt. Nur die Seiten seines Schicksales seien herausgehoben, die seinen Geist
gebildet haben, gebildet nicht in dem übertragenen Sinne eines Anfüllens mit
Wissensstoff, sondern in der wörtlichen Bedeutung des Formens zum Werkzeug
einer durch und durch lebendigen Natur. Georg Förster war das Ergebnis einer
väterlichen Erziehungsmethode, die auf naturwissenschaftlichem Gebiete aus dem
Sohne ähnliche Höchstleistungen herauszuholen den Ehrgeiz hatte, wie Ismael
Mengs im Felde der Kunst aus seinem Anton Raphael. Fast ohne es selbst zu
wissen, gehörte schon der junge Förster zum Geschlecht der groben Arbeiter des
18. Jahrhunderts, auf die wir nicht ohne Neid wie auf einen ausgesiorbenen
Stamm von Riesen zurückblicken. Der 11jährige Knabe begleitete den ewig rast-
losen Vater auf seinen osteuropäischen Forschungsfahrten, der 22jährige Jüngling
beschrieb die zweite Weltumsegelung mit Gook, an der er teilgenommen hatte.
Seine Schulstube wurde der Ozean, seine Lehrer waren die Menschen fremder
Zonen und Rassen, seine Methode hielj: Sehen und Beschreiben. Er las in dem
großen vor ihm aufgeschlagenen Buche der Natur, und die Weltsprachen, jene
Schlüssel zu den Seelen fremder Völker, eignete er sich da an, wo sie zu Hause
waren. Disponiert, alle Seiten der Wirklichkeit in empfänglicher Seele zu spiegeln
und in warm pulsierender Sprache zu schildern, dankte er den Reisen doch nicht
nur das Material zu seinen Wanderbüchern, sondern, daß ihm ein ungewöhnlicher
Reichtum an Erlebnissen alle Sinne früh gefeit hatte gegen Vorurteile, gegen
Enge und geistige Flachheit derer, die nur wenig und nur das Nahe gesehen
haben. Die Reise um die Welt hatte aus ihm einen Weltbürger gemacht, richtiger
einen ganz unbürgerlichen, wenn auch nicht ungesellschaftlichen Menschen. Die
tragischen Schicksale seines späteren Lebens wurzeln in der frühen Loslösung
Forsfersvon allen nationalen, religiösen, sozialen, politischen Bindungen. Wer so
vieler Menschen Vaterländer gesehen, so vieler Muttersprachen geredet, in so
vieler Seelen Glaubenswelten sich eingelebt hatte, war gegen den Zauber der
völkerversöhnenden Ideen der französischen Revolution nicht gepanzert. Die
Tragik Försters aber lag nicht in seinen Mißgeschicken, sondern darin, daß es
ihm, der 1794 noch nicht 40jährig starb, nicht erspart blieb, den inneren Zerfall
der Revolution, der er Heimat, Glück, Zukunft und Ehre geopfert hatte, zu erleben.
„Immer nur Eigennuß und Leidenschaft zu finden, wo man Größe erwartet und
401
„ANSICHTEN VOM NIEDERRHEIN"
Wi [heim Wa e h o I d'-t
In anderen, auch in den besten deutschen Schriften, fühlt man Stubenluft,"
sagt Fr. Schlegel in seinem liebevollen Charakterbilde Georg Försters (1797).
Das romanhaftbewegte Leben dieses echten Sohnes des 18. Jahrhunderts ist be-
kannt. Nur die Seiten seines Schicksales seien herausgehoben, die seinen Geist
gebildet haben, gebildet nicht in dem übertragenen Sinne eines Anfüllens mit
Wissensstoff, sondern in der wörtlichen Bedeutung des Formens zum Werkzeug
einer durch und durch lebendigen Natur. Georg Förster war das Ergebnis einer
väterlichen Erziehungsmethode, die auf naturwissenschaftlichem Gebiete aus dem
Sohne ähnliche Höchstleistungen herauszuholen den Ehrgeiz hatte, wie Ismael
Mengs im Felde der Kunst aus seinem Anton Raphael. Fast ohne es selbst zu
wissen, gehörte schon der junge Förster zum Geschlecht der groben Arbeiter des
18. Jahrhunderts, auf die wir nicht ohne Neid wie auf einen ausgesiorbenen
Stamm von Riesen zurückblicken. Der 11jährige Knabe begleitete den ewig rast-
losen Vater auf seinen osteuropäischen Forschungsfahrten, der 22jährige Jüngling
beschrieb die zweite Weltumsegelung mit Gook, an der er teilgenommen hatte.
Seine Schulstube wurde der Ozean, seine Lehrer waren die Menschen fremder
Zonen und Rassen, seine Methode hielj: Sehen und Beschreiben. Er las in dem
großen vor ihm aufgeschlagenen Buche der Natur, und die Weltsprachen, jene
Schlüssel zu den Seelen fremder Völker, eignete er sich da an, wo sie zu Hause
waren. Disponiert, alle Seiten der Wirklichkeit in empfänglicher Seele zu spiegeln
und in warm pulsierender Sprache zu schildern, dankte er den Reisen doch nicht
nur das Material zu seinen Wanderbüchern, sondern, daß ihm ein ungewöhnlicher
Reichtum an Erlebnissen alle Sinne früh gefeit hatte gegen Vorurteile, gegen
Enge und geistige Flachheit derer, die nur wenig und nur das Nahe gesehen
haben. Die Reise um die Welt hatte aus ihm einen Weltbürger gemacht, richtiger
einen ganz unbürgerlichen, wenn auch nicht ungesellschaftlichen Menschen. Die
tragischen Schicksale seines späteren Lebens wurzeln in der frühen Loslösung
Forsfersvon allen nationalen, religiösen, sozialen, politischen Bindungen. Wer so
vieler Menschen Vaterländer gesehen, so vieler Muttersprachen geredet, in so
vieler Seelen Glaubenswelten sich eingelebt hatte, war gegen den Zauber der
völkerversöhnenden Ideen der französischen Revolution nicht gepanzert. Die
Tragik Försters aber lag nicht in seinen Mißgeschicken, sondern darin, daß es
ihm, der 1794 noch nicht 40jährig starb, nicht erspart blieb, den inneren Zerfall
der Revolution, der er Heimat, Glück, Zukunft und Ehre geopfert hatte, zu erleben.
„Immer nur Eigennuß und Leidenschaft zu finden, wo man Größe erwartet und
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