Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0707
DOI Heft:
Mai-Heft
DOI Artikel:Krell, Max: Phantasie Entwicklung/Totalität
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PHANTASIE
ENTWICKLUNG/TOTAL HAT
MAX KRELL
Epochenende ist nicht Zusammenbruch; ist Entlarvung des Irrtums, der
Hülse, der tauben Kräfte, Pflöcke nur, an denen Rückwärtiges, Notwen-
diggewesenes angeseilt war, werden aus dem Leib der Zeit gerissen. Der
Schorf gerinnt. Aller Wirbel treibt voran, Häufung, abgespiifferfe Atome schon
vergessend. Doch eine unrühmliche Wissenschaft erstickt sich selbst an ewiger
Feststellung der Zerfallsmomente, die das Eine sind und nicht das Entscheidende.
Es geschieht durch sie Zerlegung, Vergleichung, die produktiv sein könnte, vor-
wiegend aber formulierte Klage bleibt. Sagen wir, daff — neben vielen Erledi-
gungen — in der Erforschung des orbis piefus ein hauptsächlicher Abschnitt
erreicht ist, so wird die Zunft unsere Zäsur lädielnd genehmigen, nicht aber
Kühnheit genug auf bringen, aus der Summe dieses Wissens den Impuls zu raffen,
seine Peripherie um neue Spannen zu erweitern.
Darum aber geht es. Die Linien des Erdkreises liegen fest, der Grundcharakter
aller Kontinente wurde bekannt. Das Sehfeld des Europäers dehnte sich aus der
Mitfelmeerzone über alle Gebirge und Baien, vom Horizont der flachen Scheibe
in die Erkenntnis des globischen Umrisses. Soldie Struktur wird wesentlich ge-
geben bleiben. Am Detail fehlt dagegen Vieles, Doch fehlt es durch die Unzu-
länglichkeit des Auges, durch crdkleberisch beschränkte Systematik, durch die
breite Trieblosigkeif, (da doch der Boden der Realität nicht verlassen werden soll!).
Deshalb immer wieder verlegener Rückblick durch Analyse. Statt Mut, statt Vor-
wärfsdruck, statt Niederrennen, statt Phantasie. Sie sähen klug in ihren Bücher-
kammern, zerfalten Seiendes, um aus seinem Bodensaff eine Zelle, eine armselige
Einheit zu destillieren; um diese namenlose, urformige Langweile mit gotthaffer
Metapher zu bekleiden. Lohnt es, immer nur aufzulösen?
Nun also ist, nach soviel grundsäffffcher Vorbereitung, ein Erdbegriff geworden,
der für mensdiliches Auge rund genug dasfehf. Der Drang, ihn zu weifen nach
unerkannten Zonen, muff erwachen in denen, die nicht angebunden sind von ge-
lehrtem Befehl. Das Herz will kosmische Verbindung. Immer ist das Herz der
groffe, endlich erfolgreiche Gegner starrer Wissenschaftlichkeit. Es deutet voran,
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