DIE STUTTGARTER WERKBUND-TAGUNG.
Kritische und hoffnungsvolle Bemerkungen
von Dr. FriF Hoeber, D. W. B.
vom 6. bis 9. September 1919
.jendc Neunte Jahresversammlung
5 Deutsdren Werkbundes sollte die
>te umfassende Ausspradre nadi
den grundstürzenden Veränderungen, die fünf
Jahre Krieg und die politisch - wirtsdiaftliche
Revolution über Deufsdrland gebradrt hatten,
darsfellen. Ergab diese Ausspradre nun wirklidr
Resultate, zeigte sie die uns allen nröglidren
Ziele, den einen klaren Weg, den die deutsdre
werkkünstlerisdre Arbeit für die kommende sdrwere
Zukunft einzusdrlagen in der Lage ist?
So reidrhaltig das viertägige Programm mit
seinen Vorträgen, Beridrten, Diskussionen, Kunst-
besidrtigungen und Ausflügen audr war, so fehlte
dodr der Gesamtveranstaltung schon von vorn-
herein ein Wesentlidres: sie war den Mitgliedern
zu spät angekündigt worden, sodalj sidr der
Einzelne nidrt auf die zur Diskussion stehenden
widrtigen Fragen entsprechend vorbereiten konnte.
Ferner waren die programmatisdren Vorträge
nidrt in Thesen — oder in Form irgend einer
anderen Inhaltsangabe — den Werkbundgenossen
im voraus mitgeteilt worden, wodurdr ihre Er-
örterung präziser und ergebnisreidrer sidr hätte
gestalten können. Audr für die Anträge selbst
war nur der denkbar kürzeste Termin gestellt,
sodalj mandre wesentlidre Anregung aus formalen
Gründen unter den Tisdr fallen muhte. Mit der
Personenfrage, der Wahl des neuen Vorstands
und des Ausschusses, wurde in einer, für unsere
Zeit weitest gehender Demokratie, redrt dikta-
torisdren Weise verfahren, indem einfadr von dem
alten Vorstand der neue durdr Aussdieiden oder
Kooptieren einiger Mitglieder ernannt wurde.
Diese Namenliste wurde dann in gesdiiekt parla-
mentarischer T aktik dem Plenum vorgelegt, und
da sidr bei soldrem Vorgehen niemals ein Wider-
sprudr zu erheben wagt, von diesem audr „ein-
stimmig angenommen“. Dab aber trobdenr der
Werkbund, die Vereinigung aller an Kunst,
Handwerk, Tedrnik, Industrie und Wirtsdraft in
ihren mannigfaltigen Wedrselwirkungen Interes-
sierten, sidr für die Zukunft die Vergewaltigung
durdr einen kleinen Vorstand von eigensten
Gnaden nidrt gefallen lassen will, bewies als
sdriidrterner Anfang demokratisdrer Gesinnung
der spontan eingebradrte und angenommene
Antrag von Prof. Martin Elsässer, Stutt-
gart, der in einer Entsdrliebung ausdrüdete,
dab sidr die Mitgliederversammlung zwar nodr
diesmal im Hinblick auf die Zeitumstände mit
den vollzogenen Wahlen einverstanden erklärt,
künftighin aber fordert, die Kandidatenliste redrt-
zeitig allen Werkbundgenossen bekannt zu geben.
Auf der kurz vor Kriegsausbrudr statt-
gefundenen Cölner Tagung 1914 war der be-
rühmte Streit entbrannt, ob das Individuelle
oder das Typisdre nrabgebend für die neue
Sdraffensridrtung im Werkbund sein soll. Ab-
gesehen davon, dab derartige hödrst schwierige
kunstphilosophisdre Probleme überhaupt
nidrt durdr das rohe Mittel einer parlamentarischen
Debatte ihre Lösung finden können, da die Ant-
wort niemals die begrifflidre Alternative, sondern
immer nur eine schöpferische Synthese, die sowoh 1
das Individuelle wie das Typisdre in Eins ver-
sdrnrelzen nrub, sein wird, gehören solche per-
sönlidr ästhetisdren Bekenntnisse über-
haupt nidrt auf eine Werkbundtagung. Dies
konnte man auch grundsählidr den Ausführungen
des genialen Dresdener Ardritekten Hans
Poelzig über die Werkbundaufgaben entgegen-
halten, die übrigens, dem Antrag von Poelzigs
getreuestem Gefolgsmann, Walter Gropius,
Weinrar, entspredrend, denrnädrst einer weiteren
Offentlidrkeit im Druck unterbreitet werden.
Dadurdr, dab Poelzig mit merkwürdiger Energie
einen sdrarfen Trennungsstridr zwisdren Kunst
und Industrie zog, verkündete er öffentlich den
Verzidrt auf den ursprünglichen Zweck-
gedanken des Deutsdren Werkbundes,
in dessen Zeichen dieser vor nun zwölf Jahren
seine Gründung erlebte.
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Kritische und hoffnungsvolle Bemerkungen
von Dr. FriF Hoeber, D. W. B.
vom 6. bis 9. September 1919
.jendc Neunte Jahresversammlung
5 Deutsdren Werkbundes sollte die
>te umfassende Ausspradre nadi
den grundstürzenden Veränderungen, die fünf
Jahre Krieg und die politisch - wirtsdiaftliche
Revolution über Deufsdrland gebradrt hatten,
darsfellen. Ergab diese Ausspradre nun wirklidr
Resultate, zeigte sie die uns allen nröglidren
Ziele, den einen klaren Weg, den die deutsdre
werkkünstlerisdre Arbeit für die kommende sdrwere
Zukunft einzusdrlagen in der Lage ist?
So reidrhaltig das viertägige Programm mit
seinen Vorträgen, Beridrten, Diskussionen, Kunst-
besidrtigungen und Ausflügen audr war, so fehlte
dodr der Gesamtveranstaltung schon von vorn-
herein ein Wesentlidres: sie war den Mitgliedern
zu spät angekündigt worden, sodalj sidr der
Einzelne nidrt auf die zur Diskussion stehenden
widrtigen Fragen entsprechend vorbereiten konnte.
Ferner waren die programmatisdren Vorträge
nidrt in Thesen — oder in Form irgend einer
anderen Inhaltsangabe — den Werkbundgenossen
im voraus mitgeteilt worden, wodurdr ihre Er-
örterung präziser und ergebnisreidrer sidr hätte
gestalten können. Audr für die Anträge selbst
war nur der denkbar kürzeste Termin gestellt,
sodalj mandre wesentlidre Anregung aus formalen
Gründen unter den Tisdr fallen muhte. Mit der
Personenfrage, der Wahl des neuen Vorstands
und des Ausschusses, wurde in einer, für unsere
Zeit weitest gehender Demokratie, redrt dikta-
torisdren Weise verfahren, indem einfadr von dem
alten Vorstand der neue durdr Aussdieiden oder
Kooptieren einiger Mitglieder ernannt wurde.
Diese Namenliste wurde dann in gesdiiekt parla-
mentarischer T aktik dem Plenum vorgelegt, und
da sidr bei soldrem Vorgehen niemals ein Wider-
sprudr zu erheben wagt, von diesem audr „ein-
stimmig angenommen“. Dab aber trobdenr der
Werkbund, die Vereinigung aller an Kunst,
Handwerk, Tedrnik, Industrie und Wirtsdraft in
ihren mannigfaltigen Wedrselwirkungen Interes-
sierten, sidr für die Zukunft die Vergewaltigung
durdr einen kleinen Vorstand von eigensten
Gnaden nidrt gefallen lassen will, bewies als
sdriidrterner Anfang demokratisdrer Gesinnung
der spontan eingebradrte und angenommene
Antrag von Prof. Martin Elsässer, Stutt-
gart, der in einer Entsdrliebung ausdrüdete,
dab sidr die Mitgliederversammlung zwar nodr
diesmal im Hinblick auf die Zeitumstände mit
den vollzogenen Wahlen einverstanden erklärt,
künftighin aber fordert, die Kandidatenliste redrt-
zeitig allen Werkbundgenossen bekannt zu geben.
Auf der kurz vor Kriegsausbrudr statt-
gefundenen Cölner Tagung 1914 war der be-
rühmte Streit entbrannt, ob das Individuelle
oder das Typisdre nrabgebend für die neue
Sdraffensridrtung im Werkbund sein soll. Ab-
gesehen davon, dab derartige hödrst schwierige
kunstphilosophisdre Probleme überhaupt
nidrt durdr das rohe Mittel einer parlamentarischen
Debatte ihre Lösung finden können, da die Ant-
wort niemals die begrifflidre Alternative, sondern
immer nur eine schöpferische Synthese, die sowoh 1
das Individuelle wie das Typisdre in Eins ver-
sdrnrelzen nrub, sein wird, gehören solche per-
sönlidr ästhetisdren Bekenntnisse über-
haupt nidrt auf eine Werkbundtagung. Dies
konnte man auch grundsählidr den Ausführungen
des genialen Dresdener Ardritekten Hans
Poelzig über die Werkbundaufgaben entgegen-
halten, die übrigens, dem Antrag von Poelzigs
getreuestem Gefolgsmann, Walter Gropius,
Weinrar, entspredrend, denrnädrst einer weiteren
Offentlidrkeit im Druck unterbreitet werden.
Dadurdr, dab Poelzig mit merkwürdiger Energie
einen sdrarfen Trennungsstridr zwisdren Kunst
und Industrie zog, verkündete er öffentlich den
Verzidrt auf den ursprünglichen Zweck-
gedanken des Deutsdren Werkbundes,
in dessen Zeichen dieser vor nun zwölf Jahren
seine Gründung erlebte.
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