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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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November- Dezember-Heft
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Hoeber, Fritz: Die Stuttgarter Werkbund-Tagung: kritische und hoffnungsvolle Bemerkungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0230

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Poelzig geht einseitig von seinem Standpunkt
als schaffender Künstler aus. Hier verlangt er
mit Redrt die absolute Reinheit der Gesinnung
als ideale Grundlage der Sdröpfung und das
Zurückgreifen auf die streng handwerkliche
Sdiulung als die materielle Garantie zur Ver-
wirklichung soldi reiner Idee, wie das ähnlidi
audr Riemersdrmid, Tessenow und WalterGropius
gefordert haben. Poelzig stellt nun diese an
sidr gewiß notwendige Gesinnungsreinheit und
die strenge Handwerklidrkeit in Gegensah zu
dem heute herrschenden Industrialismus.
Wenn er dadurdr eine innere Gesundung unserer
Baukunst und unseres Kunstgewerbes erhofft,
so hat er hier zweifellos Redrt. Nur verkennt
Poelzig — in einer fast an R u s k i n erinnernden
Romantik — damit völlig den Geist unserer
Zeit, der eben nicht auf das arisfokrafjsdie
Individuum gehen kann, sondern wegen seiner
ganzen sozialen, wirtsdraftlidren und tedrnischen
Art einen für breiteste Volkskreise bestimmten
Typus anstreben mul?. Dal? dieser sozialistisdre
„Typus“ der angewandten Kunst eben mög-
lichst veredelt werden mul?, dafür ist ja
seinerzeit gerade der Werkbund gegründet
worden, der den Künstler mit dem Industriellen
zusammenführen soll, der das Handwerk, das
in Stumpfsinn und Sdilendrian verkommen war,
zu vergeistigen und ihm sein Gewissen für die
verlorene Qualität neu zu wecken hat.
Dieses Durdidringen der gesamten hand-
werklidien und industriellen Produktion mit einem
sich selbst verantwortlidien Qualitätssinn
ersdreint audr, wie Theodor Heul? jet?t in
Stuttgart betonte, von nationalökonomisdier
Bedeutung, insofern als Deutschland für seine
gesamte Ausfuhrware mit einer bleibenden
Teuerung an kostbaren Rohstoffen und mit
unverhältnismäßig gesteigerten Arbeitslöhnen
rechnen muß. Also im Gegensatz zu Poelzigs
exklusivem Künstlertum ist an dem unver-
brü dil i dien Bündnis von Industrie und
Kunst, sdion aus der Not unserer Zeit
heraus, festzuhalten. Will man aber, wie das
Poelzigs Absicht war, auf „reinliche Scheidung“
drängen, so wird man eher als der Industrie
der Kunst den Aufenthalt im Werkbund
kündigen müssen: denn dieKunstkann j a n i e-
mals von einem sozialen Kollektivwesen

ges di affen werden, sondern nur von
dem gottbegnadeten Individuum des
Künstlers. Der Werkbund soll aber, seinem
ursprünglidien Gründungsgedanken nadi, diese
reinen Schöpfernaturen von allen materiellen
Verpflichtungen entlasten. Er soll ihnen die
wirtsdiaftlidie, soziale und tedinische
Basis bereiten, eine Hilfsorganisation sein, wo-
für zweifellos, bei der vorherrsdienden Idealität
des reinen Künstlertums, ein konkretes Bedürfnis
besteht.
Es ist nidit das erste Mal, daß der genialische
Dresdener Barockmeister Hans Poelzig den
realen Bedingungskomplex der Gegenwart grund-
säßlidi verkennt: Wenn man für ein doch
allein amphitheatralisdi zu denkendes Volks-
f he ater einen aristokratischen Rang- und
Logenbau mit nadi Ständen' abgesonderten
Sißen entwirft, rein aus der Freude an der
plastisdi individualisierten Form heraus, wenn
man den gigantisdien Linienzug von Hafen-
oder Industriebauten auf sfädfisdie Schul- und
Verwalfungshäuser, lediglidr um damit ge-
spensterhaft zu bluffen, überträgt — so erscheint
das als die selbe artistisdre Monomanie, wie wenn
man in einer wirtschaftlidi-technisdren Organi-
sation von Werkkünstlern gegen die Industrie
als „sdrönheitsfeindlidi“ loszieht. Die Nation
freut sidr sidrer ihrer sdröpfcrischen Genies. Aber
immer wird es eine Unmöglidrkeit bedeuten,
soldre Renrbrandts und Midrclangelos in einem
sozialen Bund zu organisieren. Daß ein so
geniales Individuum wie Hans Poelzig den Werk-
bund, dem vor allem dodr sachlidr-soziale Auf-
gaben gestellt sind, innerhalb adrt lagen
sprengen würde, hat der Vorstand auch still-
schweigend zugegeben, indem er den weiteren
Vorsiß nidit diesem so persönlichen Künstler,
sondern einem bewährten Industriellen und wirt-
schaftlidren Organisator, Peter Bruckmann
aus Heilbronn, übertrug. —
Liegt die Gefahr bei dem Poelzigschen
Künstlerbekenntnis in einem über spannen
der Individualität, die sidr in die sozialen
und sadilidren Forderungen unserer Zeit nidit
mehr einfügen will, so war bei dem andern
Pol der Werkbundtagung, dem Vortrag des
Naturwissensdiaftlers Wilhelm Ostwald
über »Die Grundlagen der Farbenkunde« das

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