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DER LYRIKER HANS SCHIEBELHUTH. Hans
Schiebelhufh, Darmsfädfer, sechsundzwanzigjährig,
dessen Dasein zwischen Darmsfadf und München sich
hinschwingt, mit Flügen und Fahrten in alte Dörfer,
hetürmte Städtchen, hessische, fränkisdie und baye-
rische Landschaften, bietet bis jeft einen Torso, einen
Ausschnitt aus seinem lyrischen Schaffen, über Jahre
verstreut, Ernte aus den Jahren 1913 — 1920, nicht
immer gleichwertig, verschiedenfarbig und versdrieden-
fönig, aber Frucht eines tiefen und bezaubernden
dichterischen Grundes, der seine Wurzeln und Saug-
fäden in inbrünstigem Vitalismus über den Kosmos
gezogen hat, über Gestirne und Wolken, über Menschen-
herzen, verrußte Städte und Blumen an Wegrainen,
über verwilderte Gärten, über Strafen voll unendlichen
Verkehrs, über Urwälder und Meere voll von rauschen-
den fremden Schiffen, der mit den Uhren in mitter-
nächtlichen Türmen schlägt, der mit den Kindern in
den Frühling hineinjubelt, der mit Bettlern in Winter-
frösten hungert, der jenseits lebt und diesseits, der
jung ist und alt, der wilde, abenteuerliche Schlachten
schlug und auf Pazifisfenkongressen die Zunge er-
schütternder Barmherzigkeit und Friedenssehnsucht
sdrrie. Was er bis jeft schrieb, da und dort in Zeit-
schriften veröffentlichte, ist die Enthüllung eines tiefen
und wahrhaft dichterischen Geistes, der aufgereckt in
die starke Atmosphäre des prophetisdren Tempera-
mentes, des heilen Ekstatikers, des herrlichen Pafhe-
tikers, des reinen und gütigen Menschen greift.
Schiebelhuths Gedidrte sind in der äußeren Struktur
zumeist von einer großen und wilden Fremdartigkeit,
zyklopisch hingehämmert, massig und wuchtig gebaut,
durchflossen von glühender Inbrunst, aber doch von
einer berückenden Gesdrmeidigkeif, aus romantischem
Grund üppig emporgeschossen, hell und seidig glänzend
und voll verträumter Musik. Andere sind klein und
schmal gebaut, zusammengepreff auf einige Zellen,
aber von tiefer Intensität erfüllt, Gebilde edelster
Art, klar und abgeschöpft, Prägungen erschütternsten
dichterischen Erlebens und qualvoller didrierischer
Arbeit.
Sich und seine Sehnsucht in ein Gedidrt zu fassen,
in dem Wundervollstes klingt, weiche Geigen und
Morgenglocken, in dem Wind und alle Sommer sind,
süfe Fenchelluft und betörende Weite, es ist bezau-
bernd, es ist sehr selten, aber höret:
„Tut Türen weit auf. Viel Licht
flief' über Fließen.
Wanderer steh auf. Gürte dich.
Freu’ didr ins Fremde.
Geh gegen Wolken, Zieh wider Wind.
Berg und Tal, stille Strafe,
über dem Weg weben Wünsche,
Gold, Glück.“
Er ist pantheistischer Sehnsucht voll, großes offenes
Gefäf, in das die Erschütterungen, die Wunder, die
Qualen, die Erscheinungen Im steten unaufhörlichen
und ungehemmten Fluf und im ewigen und wilden
Chaos hineinströmen. Er sprengt sidr und sein Blut
über alle Dinge, über die uferlose Welfheimaf und
den brausenden rätselhaften Wind, den er anruft wie
einen vertrauten Freund mit ausgebreiteten Armen,
fassungslos, jubelnd und trunken:
„Sieh midi bereit, die Hüllen hingesunken,
nackt zieh Ich ungehemmt ins Ungehemmte
mit dir die Bahnen über Fluf und Flur. _
Sdion schimmern über Rosenwolken trunken
Sternstädte, die ich nie gestürmt, und fremde
Blauhimmel, die mein Traum noch nie befuhr.“
Er durchquert die grofe wilde Welt, von Zone zu
Zone, von Pol zu Pol, Gestirne sind seine Brüder,
Vögel seine Gefährten, er ruft selbstherrlich und kühn:
„Ich bin von den Niemandsinseln. In meinem Blut
sind nodi Odlande,“ er schläft auf weifen Wolken-
segeln und fährt mit ihnen über die tausend Städte,
über die Landschaften in Grün, über die riesigen
Wälder und entsef liehen Gebirgsschluchten, in die Gold-
feuer unendlich ausgeb reif efer Welf, er ist Abenteurer
mit kindlicher, naiver Seele, er „hob die Sfernnesfer
aus“, saf im „Geäst des Welfbaums“, er ist ein
ewiger „Wanderer des Wegs“. Er spridif von sich
und Leon Deubel, dem wundervollen französischen
Dichter, den sein Land verhungern lief und der in
einer bösen Nacht, traurig, verwirrt und voll scharfen
Schmerzes im Hirn in die Wasser der Seine zum er-
lösenden Tod ging:
„Viel war Hirt in uns, Freunde der Vögel und allem.
Getier.“ . . „Abends erlauschten wir In Hollunder-
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