Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0343
DOI Heft:
Januar-Heft
DOI Artikel:Bie, Oscar: Martin Brandenburg
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MARTIN BRANDENBURG.
Oskar B i e.
Martin Brandenburg trat zum erstenmal auf im Gefolge der Berliner Sezession.
Damals war er mit Baluschek sehr befreundet und ihnen beiden blieb auch
ein gewisser ethischer Wille gemeinsam, obwohl sich sonst ihre Wege trennten.
Baluschek wurde ein ausgesprochener Realist, der das Elend der Vorstädte
und der Betriebe, Eisenbahnen, Tanzlokale und Volksbelustigungen scharf sdrild-
erte, während Brandenburg sich auf die Wege der Phantasie begab und in das
Reich himmlischer Träume aufstieg. Baluschek suchte den Anschluß an das
Volk, Brandenburg vermied ihn. Er arbeitete einsam und nicht genügend gekannt
und gewürdigt. Jebt nach seinem frühen Tode hat das Künstlerhaus eine Ge-
dächtnisausstellung eröffnet, in der man endlich sein Lebenswerk übersieht. Wir
wollen durch die Ausstellung gehen. Wir wollen uns nicht darauf beschränken,
den Bildern Zensuren zu geben, zu sagen, ob sie uns gefallen oder nicht, sondern
wir wollen den Typus seiner Künstlerpersönlichkeit feststeilen, die darum inter-
essant ist, weil sie die Probleme unserer Zeit in sich zusammenfafd, noch mehr,
weil sie auf der Grenze zweier Zeitalter steht, deren Gegensähe in ihm ihren
Kampf ausfechten.
Wir stehen zuerst in dem Saal, der seine Skizzen vereint. Es sind scharf
gezeichnete Studien nach Bäumen und landschaftliche Stimmungen von Wald,
Wiese und Meer. Die Baumstudien verraten seine formalen Neigungen, die
Meerbilder seine malerischen Interessen. Sofort tritt der Gegensah von Form
und Farbe in die Erscheinung, und das Spiel der Kräfte kann beginnen.
Brandenburg neigte auf der einen Seite dazu, formale Probleme bis aufs
äußerste durchzudenken. Auf der anderen Seite reizte ihn der Rausch der
Farbe, und er strebte danach, das Formale im Koloristischen und die Farbe
im Rhythmus zu bewältigen.
Von diesem Punkte aus erklären sich die Stoffe, die er bevorzugte, die Motive,
die er immer wieder bearbeitete und überhaupt der festgeschlossene Kreis
der Aufgaben, die ihn immer wieder interessierten. Eines der widrigsten
Motive seiner Kunst sind die Verhältnisse von Ruhe zur Bewegung im Bilde.
Er will nicht nur die Wirklichkeit abmalen, wie sie sich zufällig bietet, son-
dern er will gewisse Gesetze ihrer Erscheinung feststellen, unter denen sie
sich ordnet. So interessiert ihn ganz besonders das Motiv der Reihenbildung.
Sie sehen hier auf frühen Bildern in allen möglichen Varianten Züge von
Kindern, die hintereinander herlaufen. Spielende Kinder, Kinder, die durch
den Wald gehen, Kinder, die den Minnesänger begleiten, Engel und Genien,
die rings herumschweben und den festen Zug der Erdenkinder ins Stofflose
auflösen. Solche Bewegung ist eine bewußte. Sie stellt einen Rhythmus dar,
der ein Ziel außerhalb hat, und er ist später nie davon losgekommen, solche
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Oskar B i e.
Martin Brandenburg trat zum erstenmal auf im Gefolge der Berliner Sezession.
Damals war er mit Baluschek sehr befreundet und ihnen beiden blieb auch
ein gewisser ethischer Wille gemeinsam, obwohl sich sonst ihre Wege trennten.
Baluschek wurde ein ausgesprochener Realist, der das Elend der Vorstädte
und der Betriebe, Eisenbahnen, Tanzlokale und Volksbelustigungen scharf sdrild-
erte, während Brandenburg sich auf die Wege der Phantasie begab und in das
Reich himmlischer Träume aufstieg. Baluschek suchte den Anschluß an das
Volk, Brandenburg vermied ihn. Er arbeitete einsam und nicht genügend gekannt
und gewürdigt. Jebt nach seinem frühen Tode hat das Künstlerhaus eine Ge-
dächtnisausstellung eröffnet, in der man endlich sein Lebenswerk übersieht. Wir
wollen durch die Ausstellung gehen. Wir wollen uns nicht darauf beschränken,
den Bildern Zensuren zu geben, zu sagen, ob sie uns gefallen oder nicht, sondern
wir wollen den Typus seiner Künstlerpersönlichkeit feststeilen, die darum inter-
essant ist, weil sie die Probleme unserer Zeit in sich zusammenfafd, noch mehr,
weil sie auf der Grenze zweier Zeitalter steht, deren Gegensähe in ihm ihren
Kampf ausfechten.
Wir stehen zuerst in dem Saal, der seine Skizzen vereint. Es sind scharf
gezeichnete Studien nach Bäumen und landschaftliche Stimmungen von Wald,
Wiese und Meer. Die Baumstudien verraten seine formalen Neigungen, die
Meerbilder seine malerischen Interessen. Sofort tritt der Gegensah von Form
und Farbe in die Erscheinung, und das Spiel der Kräfte kann beginnen.
Brandenburg neigte auf der einen Seite dazu, formale Probleme bis aufs
äußerste durchzudenken. Auf der anderen Seite reizte ihn der Rausch der
Farbe, und er strebte danach, das Formale im Koloristischen und die Farbe
im Rhythmus zu bewältigen.
Von diesem Punkte aus erklären sich die Stoffe, die er bevorzugte, die Motive,
die er immer wieder bearbeitete und überhaupt der festgeschlossene Kreis
der Aufgaben, die ihn immer wieder interessierten. Eines der widrigsten
Motive seiner Kunst sind die Verhältnisse von Ruhe zur Bewegung im Bilde.
Er will nicht nur die Wirklichkeit abmalen, wie sie sich zufällig bietet, son-
dern er will gewisse Gesetze ihrer Erscheinung feststellen, unter denen sie
sich ordnet. So interessiert ihn ganz besonders das Motiv der Reihenbildung.
Sie sehen hier auf frühen Bildern in allen möglichen Varianten Züge von
Kindern, die hintereinander herlaufen. Spielende Kinder, Kinder, die durch
den Wald gehen, Kinder, die den Minnesänger begleiten, Engel und Genien,
die rings herumschweben und den festen Zug der Erdenkinder ins Stofflose
auflösen. Solche Bewegung ist eine bewußte. Sie stellt einen Rhythmus dar,
der ein Ziel außerhalb hat, und er ist später nie davon losgekommen, solche
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