Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0845
DOI Heft:
Juli-Heft
DOI Artikel:Bagier, Guido: Gustav Mahler: Amsterdamer Ergebnisse
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GUSTAV MAHLER
AMSTERDAMER ERGEBNISSE
GUIDO BAGIER
Der Name Mahler, Musikern streng vertraut durch persönliche Disziplin
und heftiges Für und Wider, dem Laien vorgeseht mit beharrlicher Kon-
seguenz einzelner, rauscht plötzlich auf in verblüffender Heftigkeit und
Fülle. Amsterdam, die Stadt Mengelbergs und anderer leidenschaftlicher Streiter,
rüstet eine Tagung, scheinbar jegliche andere musikalische Begegnung der Ver-
gangenheit in den Schatten stellend, erläßt Serien von Aufrufen, verstreut den
markanten Kopf über kontinentale Zeitungen des Tages, der Woche, des Monats,
läd, was irgend Teilnahme verrät, in seine Mauern und zeitigt vierzehn schwere
Tage hindurch eine Verzückung, Verbrüderung im Zeidien des Komponisten, wie
sie selbst bei Wagner, dem Festlichen, nicht erlebt ward, von den Gemeinden
Regers, Pfihners ganz zu schweigen. Neun Sinfonien riesigen Malzes, ein
sinfonischer Liederkreis, dazu mancherlei Gesänge wollen gegeben und erlebt
sein, seijon Nerven und Konzentration bei Spielern und Hörenden voraus. Jehl,
drei Wochen darnach, dröhnt noch das Ohr von den akustischen Peitschenhieben
dieser Werke, von dem Fanatismus der Melodie, von der gepanzerten Gallopade
blechener Eskadronen, von dem wütenden Stampfen rücksidilslosen Taktes. Jehl
erst stellt sich Verhältnis ein zu dem Erlebten, wird eine klare Sichtung der Werte
ermöglicht, Inventur des Ja und Nein. Dem gestorbenen Feste ziemt ein grund-
sätzlicher Nachruf, fern von den rasch verwelkenden Kränzen amüsanten Feuilletons
und biederer Berichterstattung eigens entsandter Mitarbeiter.
Der Wert des Unternehmens liegt darin, dab es ermöglichte, sämtliche Werke
Mahlers in vollendeter Ausführung chronologisch zu hören, damit einen psycho-
logischen Vorgang, den künstlerischer Biographie, zu geben, der eigenllidr jeder
ernsthaften Beurteilung eines Schaffenden als Totalität zuteil werden mühte. Man
tauchte unter in Mahlerschem Geiste, Mahlerschem Klange, Mahlerscher Diktion;
man nahm sich vor, ohne Einschränkung und Hemmung diesen Pokal ganz zu
leeren, sich seiner Wirkung völlig überlassend, Wohl kennt man Strauh-Feste,
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