UBER DIE ENTSTEHUNG MEINER OPERNBUCHER.
Franz Schreker.
US zwiefacher Not heraus entstand der »Ferne Klang«. In mir — ich war
ein ganz junger Mensch — gärte es. Jugend, Sehnsudrt wollte sich Ausdruck
sdraffen. Sehnsucht — ein Kunstidea! zu erjagen, Ruhm, Freuden des Lebens,
Weib, Liebe! Und idr wollte schaffen, wollte all das zu tönenden Gebilden
formen — doch mir fehlte ein Buch, ein Opernbuch, denn es war mir klar, dab
ich jene wühlenden gebundenen Kräfte nur in der dramatischen, in der musikdramatischen Kunst
zu klingendem Leben erwecken konnte. Und was sich mir bot, war armseliges Zeug: Librettis
verkrachter Dichter, tantiemenhungriger Journalisten. Da besann ich mich zu rechter Zeit auf midi
selbst. Auf das Drama des Werdenden; auf das Narrenspiel dieses Lebens mit unsicherem
Ausgang; auf all die Tragödien, die hart an uns vorbeistreifen und uns hin und wieder — oft
flüditig nur — in ihr Szenengewirr verstricken. Und sdrrieb den »Fernen Klang«, aus mir selbst
heraus, aus meinem eigenen jungen Erleben. — —
Ich las eine Zeitungsnotiz. Ein greiser, berühmter Violinvirtuose kehrt in seine Heimat zurück.
Irgendwo in Spanien ein kleines Dorf. Und am Abend versammelten sich die Einwohner des
Dörfchens vor dem Häuschen ihres Landsmannes mit Fackeln und Lampions — ihm zu huldigen.
Da trat der greise Künstler, die Geige unterm Arm, tief bewegt heraus auf die Terrasse des
Häuschens und spielte der atemlos lauschenden Menge bis in die sinkende Nacht hinein all
seine Weisen. Idr selbst las dies in den Weingärten Grinzings an der Peripherie des großen
Wien an einem her®dien Sommerabend. In seltsam chaotischem Klingen tönte das Glocken-
geläute von allen Türmen der Stadt herüber. Und im glühenden Rot der scheidenden Sonne
erstanden meinem Auge die vagen Umrisse eines Sdrlosses. Und in das offene Tor jenes
Sdrlosses unserer fernsten Träume sah ich ihn hineinsdireiten, in jünglingshafter Gestalt,
den greisen Künstler auf der Höhe seines Lebens. Diese beiden in Eins zusammenfliehenden
Stimmungen ergaben — seltsamerweise — die erste Idee zur Konzeption meiner Oper »Das
Spiel werk und die Prinzessin«. Ich vollendete das Werk an einem anderen Abend. Da
feierte Wien ein grobes Fest. Alle Gebäude erstrahlten in feenhaftem Glanze. Ein mittel-
alterlicher Festzug, hundert Musikkapellen, eine brausende Volksmenge durchzog die Straljen, die
Glocken dröhnten. Und idr — fieberhaft sdrreibend — sah mich plötzlich eingekeilt in furdrt-
barem Gedränge. Sdrreie ertönten, eine entsehlidre Panik erfaßte die Menge. Ich entkam mit
knapper Not einer Gefahr, deren Grobe mir erst zum Bewubtsein kam, als ich erfuhr, dah der
Tod Einkehr gehalten und alle Festesfreude jäh zerstört hatte. — —
Uber die Entstehung des »Gezeichneten«-Budres ist nur wenig zu sagen. Ein Komponist
verlangte von mir, idr solle ihm ein Opernbuch schreiben. Erstaunt und etwas befremdet frug
ich ihn, ob er einen Stoff habe, mir ein Thema wüßte. Er antwortete nichts als dies: „Schreiben
Sie dodr einmal die Tragödie des hähhdren Mannes“ ! Und ich schrieb sie. Nun muh Uh frei-
mütig gestehen: Je weiter die Arbeit gedieh, umso verhahter, unerträglicher wurde mir der Ge-
danke, nicht ich, ein anderer solle die Musik dazu sdrreiben, eine Musik, die in mir bereits feste
Umrisse, Gestalt gewann. Und es war mir, als gäbe ich dem andern mit der Dichtung zugleich
mein musikalisches Selbst, als verschacherte ich damit mein Inneres, meinen Lebensnerv. Lind
idr nahm mir vor, um das Budr zu kämpfen. Es war nicht notwendig. Mein Kollege in Apoll
war ein einsichtsvoller Mann und verstand midr, ohne dah es vieler Worte bedurft hätte. —
Ich bewohnte vor einigen Jahren mit meiner Familie ein kleines Haus im Semmeringgebiet.
Das gehörte seltsamen Leuten. Sie waren weit gereist und hatten sich aus aller Herren Länder
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Franz Schreker.
US zwiefacher Not heraus entstand der »Ferne Klang«. In mir — ich war
ein ganz junger Mensch — gärte es. Jugend, Sehnsudrt wollte sich Ausdruck
sdraffen. Sehnsucht — ein Kunstidea! zu erjagen, Ruhm, Freuden des Lebens,
Weib, Liebe! Und idr wollte schaffen, wollte all das zu tönenden Gebilden
formen — doch mir fehlte ein Buch, ein Opernbuch, denn es war mir klar, dab
ich jene wühlenden gebundenen Kräfte nur in der dramatischen, in der musikdramatischen Kunst
zu klingendem Leben erwecken konnte. Und was sich mir bot, war armseliges Zeug: Librettis
verkrachter Dichter, tantiemenhungriger Journalisten. Da besann ich mich zu rechter Zeit auf midi
selbst. Auf das Drama des Werdenden; auf das Narrenspiel dieses Lebens mit unsicherem
Ausgang; auf all die Tragödien, die hart an uns vorbeistreifen und uns hin und wieder — oft
flüditig nur — in ihr Szenengewirr verstricken. Und sdrrieb den »Fernen Klang«, aus mir selbst
heraus, aus meinem eigenen jungen Erleben. — —
Ich las eine Zeitungsnotiz. Ein greiser, berühmter Violinvirtuose kehrt in seine Heimat zurück.
Irgendwo in Spanien ein kleines Dorf. Und am Abend versammelten sich die Einwohner des
Dörfchens vor dem Häuschen ihres Landsmannes mit Fackeln und Lampions — ihm zu huldigen.
Da trat der greise Künstler, die Geige unterm Arm, tief bewegt heraus auf die Terrasse des
Häuschens und spielte der atemlos lauschenden Menge bis in die sinkende Nacht hinein all
seine Weisen. Idr selbst las dies in den Weingärten Grinzings an der Peripherie des großen
Wien an einem her®dien Sommerabend. In seltsam chaotischem Klingen tönte das Glocken-
geläute von allen Türmen der Stadt herüber. Und im glühenden Rot der scheidenden Sonne
erstanden meinem Auge die vagen Umrisse eines Sdrlosses. Und in das offene Tor jenes
Sdrlosses unserer fernsten Träume sah ich ihn hineinsdireiten, in jünglingshafter Gestalt,
den greisen Künstler auf der Höhe seines Lebens. Diese beiden in Eins zusammenfliehenden
Stimmungen ergaben — seltsamerweise — die erste Idee zur Konzeption meiner Oper »Das
Spiel werk und die Prinzessin«. Ich vollendete das Werk an einem anderen Abend. Da
feierte Wien ein grobes Fest. Alle Gebäude erstrahlten in feenhaftem Glanze. Ein mittel-
alterlicher Festzug, hundert Musikkapellen, eine brausende Volksmenge durchzog die Straljen, die
Glocken dröhnten. Und idr — fieberhaft sdrreibend — sah mich plötzlich eingekeilt in furdrt-
barem Gedränge. Sdrreie ertönten, eine entsehlidre Panik erfaßte die Menge. Ich entkam mit
knapper Not einer Gefahr, deren Grobe mir erst zum Bewubtsein kam, als ich erfuhr, dah der
Tod Einkehr gehalten und alle Festesfreude jäh zerstört hatte. — —
Uber die Entstehung des »Gezeichneten«-Budres ist nur wenig zu sagen. Ein Komponist
verlangte von mir, idr solle ihm ein Opernbuch schreiben. Erstaunt und etwas befremdet frug
ich ihn, ob er einen Stoff habe, mir ein Thema wüßte. Er antwortete nichts als dies: „Schreiben
Sie dodr einmal die Tragödie des hähhdren Mannes“ ! Und ich schrieb sie. Nun muh Uh frei-
mütig gestehen: Je weiter die Arbeit gedieh, umso verhahter, unerträglicher wurde mir der Ge-
danke, nicht ich, ein anderer solle die Musik dazu sdrreiben, eine Musik, die in mir bereits feste
Umrisse, Gestalt gewann. Und es war mir, als gäbe ich dem andern mit der Dichtung zugleich
mein musikalisches Selbst, als verschacherte ich damit mein Inneres, meinen Lebensnerv. Lind
idr nahm mir vor, um das Budr zu kämpfen. Es war nicht notwendig. Mein Kollege in Apoll
war ein einsichtsvoller Mann und verstand midr, ohne dah es vieler Worte bedurft hätte. —
Ich bewohnte vor einigen Jahren mit meiner Familie ein kleines Haus im Semmeringgebiet.
Das gehörte seltsamen Leuten. Sie waren weit gereist und hatten sich aus aller Herren Länder
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