Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

DOI Heft:
Februar-Heft
DOI Artikel:
Edschmid, Kasimir: Profile, 1, Schnitzler oder der psychologische Roman
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0396

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
PROFI

L E

KASIMIR EDSCHMID*
L
SCHNITZLER ODER DER PSYCHOLOGISCHE ROMAN
Was dem deutschen Roman fehlte, war europäische Fülle. Kleine Kritiker
und sentimentale Idioten wagten daraus ein besonderes Lob zu gestalten.
Seien wir gerecht. Grimmelshausen war noch eine grobe Sache, und die mittel-
deutsche Epik hatte wundervollen Weltstoff. Er ging verloren, verhüllte sich
in Autobiographisches, und die Schicksalsrinne persönlicher Lebenskurven rib
nicht Welt und Dasein in sich hinein. Die Felder der Prosa wurden nicht
durchpflügt, sondern schraffiert. Eine Tradition war es wahrlich nicht, lief der
Individualwahnsinn von Meyer bis Stehr, sondern es war Impotenz und Ent-
sagung, Nichtkönnen, das sich kühn mit dem Trob des Nichtwollens frisierte.
Auljenseiferei proklamierte sich als Typus und Wächter der heiligen Seelen-
feuer der Deutschen und höhnte die groben Einsamen, die es im Wesenlosen,
wohin es irgendwie in seiner Vereinsamung geflüchtet, suchten. Ehrlicher und
anständiger ist das Geständnis, gefehlt zu haben und unvermögend gewesen zu
sein, in Jahrzehnten den Geboten des Geistes zu folgen. Die Gründe ergeben
sich von selbst.
Denn Stil der Kunst und des Lebens folgert sich nicht aus Stil selbst,
sondern aus drängenden, harmonischen Kräften, die durchblutend dahinterstehen.
Sie sind in Europa sonst nicht selten, Frankreich und Rußland, Österreich
besitzen sie ohne Zweifel. Vielleicht hat das militaristische Preußen damit sogar
Fontane gemacht, jedodi als Korrektor nur der Unzulänglichkeit. Sonst war Deutsch-
land dazu nicht in der Lage. Die Tradition der Bayern, Badenser und Schwaben
war doch nicht kosmisch genug, um Weltliteratur zu machen und brachte nur
eine epigonenhafte Lokaldichtergarde hervor, die Gewohnheiten, jene faule
Mischung von Denkunvermögen und Bequemlichkeit, für Stil, für stürzende
und gestaltende Kraft hielten. Auf Frau Supper, Herrn Finkh, Herrn von
Bodmann braucht die deutsche Literatur nicht stolz zu sein. Aus dem Grabe
des immerhin groben Gottfried Keller saugen sie noch etwas vermodernde Kraft.
Was diskutabel ist in dieser Folge, ist Hesse, der, wenn auch Nachfolger auf
diesem Gebiet der Schreibweise, dennoch mit einer süddeutschen Idyllisdrkeit
und einem Anstand seltener Gesinnung weit über nur Literarisches hinausreicht.
Er ist einer jener Deutschen, die, wenn auch Formung von Welt und Sdiicksals-
breite und Tiefe ihnen fernliegt, eine fast klassische Schönheit erreichen, tauchen
* Kasimir Edschmid sefjt sich in einer Folge von neun Essais „Profile“ mit den literarischen Werten letzter Vergangenheit auseinander.

338
 
Annotationen