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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Februar-Heft
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Edschmid, Kasimir: Profile, 1, Schnitzler oder der psychologische Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0397

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sic in die Jugendzeit zurück. Man muj das ganze Werk dann ansehen und
das Leben einer schon langen künstlerischen Gesinnung. Ausmaß zu großen
Schaffenskomplexen haben noch andere hinter Keller her. Carl Hauptmann
zerlegt es in, oft zart und süß, aber immer zerfahrene impressionistische Gefühle.
Stehr, der tatsächlidi manchmal wahrhaft Durchleuchtendes hat, ist einer der
schlechtesten Könner, obwohls bei ihm aufs grobe Mab hinausgeht, und kann
Naturalistisches und Visionäres nie zusammenbringen. Er hat stets zittrige
Hände, es wird nie was draus. Schaffner zöge gern reflektierend den Gedanken-
kreis der Epoche ins Rollende der Handlung, allein er bleibt im Schatten, breit,
langweilig, schwerblütig und desperade seiner Impotenz. Der stärkste, männ-
lichste unter ihnen ersteht in Wilhelm Schäfer. Hier staut sich das Kelierische
noch einmal in einer dunklen maskulinen Glut und sucht Generation und Ewiges
zu Architektur und jener Allgemeingültigkeit des übernationalen zu formen.
Dennoch steht es neben der Zeit, es ist zu unnatürlich beruhigt in einer Zeit
der ekstatischen Suche. Es ist gute Tradition, jedoch nicht die des suchenden
Geistes, sondern einer Lebensform, die heute vom satanischen Brodeln des
Entwickelns nicht durchleuchtet ist, und später, wenn Klassisches, das heilst Klar-
Gewordenes wieder die Allgemeinschicht der Kultur sein wird, auch nicht typisch
sein wird. Denn ruhig kann nur werden, was bewegt war. Und das andere
wird kalkig sein, weil es stets besänftigt war und nur in alten Venen ein feuriges
Atmen noch einmal aufging. Das alles sind Künstler von manchen, manche
von hohen Rängen des Könnens, aber nicht in jenen mystischen Konnexen
vereinigt mit Weltgewissen und Weltdrehung, die irgendwie erst das Repräsen-
tative schaffen.
Dazu gehört eine tiefere, saftvollere Verwurzelung. Nicht eine Fortzeugung
der Form. Sondern ein Wurzel-Haben im Wesenhaften, im Völkischen, im
Bodenwasser, im Ideensaft der Volksschicht. Dazu gehört eine Kultur, nicht nur
Tragfähigkeit und gummihafte Dehnung einer Schreib- und Anschauungsweise.
Mit der wachsenden Skepsis und inneren Hohlheit, mit dem Bewußtsein
der negativen Gehalte der vergangenen Epoche begannen Zerstörungen an dem
sinnigen Erzählungsaufbau der süddeutschen Klassiker. Die Skandinaven beein-
flußten. Hamsuns Größe verstand man nicht, und wie van Gogh die Maler,
hielten die Literaten ihn für einen Impressionisten, genau wie die fadenfeinen
Dänen Bang und Jakobsen. Aus all dem gab es ein impressionistisches Gemisch
mit Klugheit wie Bahr, mit Virtuosität wie Kellermann, mit Apercüs wie Alten-
berg. Mit den überraschend und überschäßt aufgenommenen Naturwissenschaften
wurden die Seelen zu Präparaten geschlagen. Die Dichtung ging in Dienst,
hafte chemische Aufgaben der Auflösung, medizinische der Diagnose. Krankheits-
fälle wurden tatsächlich Thema der Darstellung. Von Ibsen zu Hans Heinz
Ewers ist der Weg nicht weit. Wassermann rettete sein sehr großes Talent,
das auch aus solcher geistiger Niederung vogelhaft hervorbrach.
Schnißler rettete Wien, machte ihn repräsentativ.

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