NEUE MUSIK.
S i e g m u n d P i s 1 i n g.
EIN Mensch kann sagen, von
welcher Seife der versumpften deut-
sdren Musik das Heil kommen wird.
Ridiard Strauß, froh Partiturseiten
von hödister Originalität, Wagners Fortbildner
und Komplizierer, hat gesagt, was er zu sagen
hatte. Ein neuer großer Musiker muh herauf-
kommen, vor dem die Herrlidrkeit der Epigön-
chcn, die sidi von dienstwilligen Kohorten an
die Rampe jubeln lassen, in nichts zergeht.
Die Enttäusduing der neudeutschen Manie-
risten, die bekannflidi das Deutsdrfum yepadifef
haben, wäre grob, wenn man ihnen sagte, daß
ihr unzeitgemäßes Pathos nur in einem
sehr bedingten Sinne deutsch sei. Es ist fran-
zösische!! hat von der Rhetorik eines Viktor Hugo
mehr im Leibe, als sich unsere Patentierten
träumen lassen. Nichts bezeichnender für die
durch Franz Liszt, dem Gründer des Allgemeinen
Deutsdien Musik-Vereins, eingeleitefe neu-
deutsdie Rhetorik, als Liszts Worte an Rubin-
stein: „Dans les arts il faut faire grarid“, eine
Maxime, die dem Formwillen Corneilles und
Hugos entspricht und zu keßerisdien Ergebnissen
führt, wenn man sie auf das Schaffen Ridiard
Wagners anwendef. Nimmt man dem posierenden
Genie das Genie, so bleibt die Philisterpose,
bleibt die von Liszt, Wagner und Richard Strauß
abgeleitete Programm-Sinfonie mit jener un-
erfräglidien Schluß-Apotheose, die man als
imperialistisdie Rodomontade der deutsdien
Musik bezeichnen möchte.
All das wurde clurdi die Festkonzerte,
die in Berlin im Mai cl. J. bei der Tonkünstler-
Versammlung des Allgemeinen Deutsdien Musik-
Vereins
stattfanden, i
illustriert.
Indem
die
Lage
der offiziellen
deutschen
Musik,
die
sidi zum Hohn die
moderne
nennt,
mit
aller Schärfe aufgezeigf wurde, traf an die Stelle
Wird denn nie das Blatt sidi wenden,
Und das Reich der Alten enden ?
Novalis.
der Ergöhung des Gemüts eine unfreiwillige
Ergößung des Verstandes. Man legte sozusagen
die Hand an den Puls der amtlichen musikalischen
Moderne. Es wäre indessen unklug, sidi über-
triebenen Erwartungen hinzugeben und das Ende
der zähen alten Tante für nahe bevorstehend
zu halten. Der ncudeufsdie Eklektizismus hat
eine komposifionstechnisdi zu gut fundierte
Gesundheit, als daß er nicht noch zahlreiche
junge Heißsporne überleben könnte, denen der
Ausgleich zwisdien neuem Geist und neuer Technik
nicht gelungen ist. Arnold Schönberg meinte
einmal, Kunst komme nidit von Können, sondern
von Müssen, was man ihm als Wiener Para-
doxon zugute halten mag. Kunst kommt von Können
und Müssen zugleidi. Kann einer ohne zu
müssen — wobei mir, vom Tonkünstlerfeste,
Hauseggers »Aufklänge« als eine Sadie
ohne gestern und ohne morgen, aber als eine
sehr diarakterisfische Sadie vorschweben —
so wird man den geheiligten Namen der Kunst
aus dem Spiele lassen und bloß von Kunst-
handwerk spredien dürfen, das mit der Routine
des hochgebildeten, warmherzigen Kapellmeisters
zwisdien sinfonischer Didifung und etwa Reger
zu vermitteln bestrebt ist.
Während die Manieristen der neudeufschen
Romantik aller Schattierungen unter dem Sdiuße
einflußreidier Cliquen Scheinerfolge davonfragen,
die den roten Backen Sdiwindsüditiger gleidien,
sdiärff die editbürtige Moderne die Waffen für
eine der gewaltigsten Umwälzungen der Musik-
geschichte. Nirgends zeigt sidi die Umwertung
der musikalisdien Werfe deutlicher als in der
gänzlidi veränderten Ansdiauung von Konsonanz
und Dissonanz, Begriffen, die in Sdiönbergs
repräsentativen Werken ihren Sinn verloren
haben. Von Konsonanz und Dissonanz kann
hier überhaupt nidit mehr gesprodien werden,
weil im Sdiulsinne alles auseinander klingt,
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S i e g m u n d P i s 1 i n g.
EIN Mensch kann sagen, von
welcher Seife der versumpften deut-
sdren Musik das Heil kommen wird.
Ridiard Strauß, froh Partiturseiten
von hödister Originalität, Wagners Fortbildner
und Komplizierer, hat gesagt, was er zu sagen
hatte. Ein neuer großer Musiker muh herauf-
kommen, vor dem die Herrlidrkeit der Epigön-
chcn, die sidi von dienstwilligen Kohorten an
die Rampe jubeln lassen, in nichts zergeht.
Die Enttäusduing der neudeutschen Manie-
risten, die bekannflidi das Deutsdrfum yepadifef
haben, wäre grob, wenn man ihnen sagte, daß
ihr unzeitgemäßes Pathos nur in einem
sehr bedingten Sinne deutsch sei. Es ist fran-
zösische!! hat von der Rhetorik eines Viktor Hugo
mehr im Leibe, als sich unsere Patentierten
träumen lassen. Nichts bezeichnender für die
durch Franz Liszt, dem Gründer des Allgemeinen
Deutsdien Musik-Vereins, eingeleitefe neu-
deutsdie Rhetorik, als Liszts Worte an Rubin-
stein: „Dans les arts il faut faire grarid“, eine
Maxime, die dem Formwillen Corneilles und
Hugos entspricht und zu keßerisdien Ergebnissen
führt, wenn man sie auf das Schaffen Ridiard
Wagners anwendef. Nimmt man dem posierenden
Genie das Genie, so bleibt die Philisterpose,
bleibt die von Liszt, Wagner und Richard Strauß
abgeleitete Programm-Sinfonie mit jener un-
erfräglidien Schluß-Apotheose, die man als
imperialistisdie Rodomontade der deutsdien
Musik bezeichnen möchte.
All das wurde clurdi die Festkonzerte,
die in Berlin im Mai cl. J. bei der Tonkünstler-
Versammlung des Allgemeinen Deutsdien Musik-
Vereins
stattfanden, i
illustriert.
Indem
die
Lage
der offiziellen
deutschen
Musik,
die
sidi zum Hohn die
moderne
nennt,
mit
aller Schärfe aufgezeigf wurde, traf an die Stelle
Wird denn nie das Blatt sidi wenden,
Und das Reich der Alten enden ?
Novalis.
der Ergöhung des Gemüts eine unfreiwillige
Ergößung des Verstandes. Man legte sozusagen
die Hand an den Puls der amtlichen musikalischen
Moderne. Es wäre indessen unklug, sidi über-
triebenen Erwartungen hinzugeben und das Ende
der zähen alten Tante für nahe bevorstehend
zu halten. Der ncudeufsdie Eklektizismus hat
eine komposifionstechnisdi zu gut fundierte
Gesundheit, als daß er nicht noch zahlreiche
junge Heißsporne überleben könnte, denen der
Ausgleich zwisdien neuem Geist und neuer Technik
nicht gelungen ist. Arnold Schönberg meinte
einmal, Kunst komme nidit von Können, sondern
von Müssen, was man ihm als Wiener Para-
doxon zugute halten mag. Kunst kommt von Können
und Müssen zugleidi. Kann einer ohne zu
müssen — wobei mir, vom Tonkünstlerfeste,
Hauseggers »Aufklänge« als eine Sadie
ohne gestern und ohne morgen, aber als eine
sehr diarakterisfische Sadie vorschweben —
so wird man den geheiligten Namen der Kunst
aus dem Spiele lassen und bloß von Kunst-
handwerk spredien dürfen, das mit der Routine
des hochgebildeten, warmherzigen Kapellmeisters
zwisdien sinfonischer Didifung und etwa Reger
zu vermitteln bestrebt ist.
Während die Manieristen der neudeufschen
Romantik aller Schattierungen unter dem Sdiuße
einflußreidier Cliquen Scheinerfolge davonfragen,
die den roten Backen Sdiwindsüditiger gleidien,
sdiärff die editbürtige Moderne die Waffen für
eine der gewaltigsten Umwälzungen der Musik-
geschichte. Nirgends zeigt sidi die Umwertung
der musikalisdien Werfe deutlicher als in der
gänzlidi veränderten Ansdiauung von Konsonanz
und Dissonanz, Begriffen, die in Sdiönbergs
repräsentativen Werken ihren Sinn verloren
haben. Von Konsonanz und Dissonanz kann
hier überhaupt nidit mehr gesprodien werden,
weil im Sdiulsinne alles auseinander klingt,
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