VON KUNST UND KÜNSTLERISCHER KULTUR.
Dr. Oskar Beyer, Berlin.
EN Begriff der „Kunstkultur“ ohne weiteres und ohne Erläuterung auf ein
neues Programm zu setzen, mühte auf AAensdien unserer l age befremdlich,
ja verdächtig wirken. Das mühte die Vorstellung erwecken, als ständen
Männer zum Wirken bereit, gedankenlos in einer neuen Welt, oder eigen-
sinnig-stolz auf alte überkommene Besitztümer, ja als wären sie geneigt,
die Reaktion zu stärken. Denn zwischen jener Zeit, als man die neue
Formel von der künstlerischen Kultur als frohe Botsdraft erlebte, und
unsrer jetzigen Situation klafft ein Abgrund. Die Revolution der Kunst, die seit dem ersten
.Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts sich geräusdilos, aber mit einer dämonischen Energie zu
vollziehen begann, hat jene vormärzliche Bewegung, die um 1890 zugleidi mit einer neuen
Literatur audi einen neuen Kunststil zeugen wollte, in den Hintergrund gedrängt und fast
vergessen gemacht. Audi damals entbrannte der Kampf gegen das Alte, Unlautere und Erlogene:
gegen den Geist der Gründerzeit und ihre „Kunstkultur“, audi damals klirrten blanke Schwerter
aneinander und es wurden tödliche Stöße geführt. Auch damals gab es Programme, die wie
Fahnen eines neuen Heeres sidi aufrollfen, gab es Reformen (man denke an den Aufsdrwung
des Kunstgewerbes) und starke Tendenzen eines breiten Kulturwillens (das Ideal einer groben
Nationalkunst, die kunsterzieherische Bewegung u.a.m.). Wir Heutigen finden uns weitabgetrieben
von jenem hoffnungsfreudigen Jahrzehnt, in dem viele Fenster dumpfer Stuben von kräftigen
Händen aufgerissen wurden für die frischen Winde, die draußen bliesen. Fern liegt das Land
am Florizont, wie eine helle, winzige Insel, auf der man heiter und sorglos hätte leben können.
Die Namen der Männer von damals — ich brauche nur Langbehn und Lidrtwarck zu nennen —
sollen in Ehren bleiben, denn sie haben ihrem Ideal in I reue gedient, ihre Wirkungen wird man
noch lange spüren können, obwohl wir wissen, der neue Geist ist weit, weit über ihre Köpfe
emporgeflogen. — Flat man nun den Mut, die Glanzformel jener abgeblühten Epoche, deren
Vertreter diese Männer sind, audi noch heute oder heute wieder zu verwenden, so bedarf dieselbe
natürlich unserer grundsätzlichen Besinnung und einer neuen Fundierung, falls sie lebensfähig sein
und bleiben will. Denn die Kunst, deren „Kultur“ es gelten würde, hat eine Wandlung erfahren,
wie sie noch nie eine Kunstzeit (im Verhältnis zu der eben vergangenen Periode) erlebt hat.
Nicht nur um neue Stil- und Farbenwerte wird heute gekämpft, sondern um unendlich mehr: um neue
Grundlagen, neue Aufgaben, neue Inhalte, neue Ziele, neue Wertungen. Wie könnte es also
möglich sein, daß die Kunstkultur die gleiche bliebe, die sie damals war?!
Will man sich, um zu möglichst unzweideutiger Klarheit zu gelangen, in aller Kürze das
Wesentliche der alten Kunstauffassung gegenwärtig machen, so bedenke man zuerst, was sic
nadi Abzug aller idealistischen Draperien für die Künstler letztlich gewesen: ein bürgerlicher
Beruf zum Lebensunterhalt, ein Mittel zum Ruhm, eine Sache der Willkür und ihres Schweißes,
der Laune, der Erfindung, des glücklichen Moments oder Zufalls. Der Menge, soweit sie
künstlerisch „interessiert“ war, galt sie als vornehmer, wenn auch kostspieliger Sport, als Schmuck
und Luxus des Lebens, als Zeitvertreib, als Sadic der Erholung, der Augenweide, der niederen
Lustgefühle, der Kunstvereine und der Sonntagvormittage. Um „Künstler“ zu werden, dazu
war außer einem gewissen Begabungsfonds eine Anzahl akademischer Jahre und der Erwerb
eines bestimmten, und zwar außerordentlich hohen Grades rein technischer, also mechanischer Routine
erforderlich. Ohne eine solche Routine einfache Gefühle und Erlebnisse auf bildmäßigem Wege
zum Ausdruck bringen zu wollen, wäre als ebenso große Vermessenheit erschienen, wie ohne
ästhetisdie Bildung und Vorkenntnisse, rein aus dem Herzen heraus, ein wirkliches Verhältnis
zur Kunst zu haben und Kunsterlebnisse auszudrücken.
Dr. Oskar Beyer, Berlin.
EN Begriff der „Kunstkultur“ ohne weiteres und ohne Erläuterung auf ein
neues Programm zu setzen, mühte auf AAensdien unserer l age befremdlich,
ja verdächtig wirken. Das mühte die Vorstellung erwecken, als ständen
Männer zum Wirken bereit, gedankenlos in einer neuen Welt, oder eigen-
sinnig-stolz auf alte überkommene Besitztümer, ja als wären sie geneigt,
die Reaktion zu stärken. Denn zwischen jener Zeit, als man die neue
Formel von der künstlerischen Kultur als frohe Botsdraft erlebte, und
unsrer jetzigen Situation klafft ein Abgrund. Die Revolution der Kunst, die seit dem ersten
.Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts sich geräusdilos, aber mit einer dämonischen Energie zu
vollziehen begann, hat jene vormärzliche Bewegung, die um 1890 zugleidi mit einer neuen
Literatur audi einen neuen Kunststil zeugen wollte, in den Hintergrund gedrängt und fast
vergessen gemacht. Audi damals entbrannte der Kampf gegen das Alte, Unlautere und Erlogene:
gegen den Geist der Gründerzeit und ihre „Kunstkultur“, audi damals klirrten blanke Schwerter
aneinander und es wurden tödliche Stöße geführt. Auch damals gab es Programme, die wie
Fahnen eines neuen Heeres sidi aufrollfen, gab es Reformen (man denke an den Aufsdrwung
des Kunstgewerbes) und starke Tendenzen eines breiten Kulturwillens (das Ideal einer groben
Nationalkunst, die kunsterzieherische Bewegung u.a.m.). Wir Heutigen finden uns weitabgetrieben
von jenem hoffnungsfreudigen Jahrzehnt, in dem viele Fenster dumpfer Stuben von kräftigen
Händen aufgerissen wurden für die frischen Winde, die draußen bliesen. Fern liegt das Land
am Florizont, wie eine helle, winzige Insel, auf der man heiter und sorglos hätte leben können.
Die Namen der Männer von damals — ich brauche nur Langbehn und Lidrtwarck zu nennen —
sollen in Ehren bleiben, denn sie haben ihrem Ideal in I reue gedient, ihre Wirkungen wird man
noch lange spüren können, obwohl wir wissen, der neue Geist ist weit, weit über ihre Köpfe
emporgeflogen. — Flat man nun den Mut, die Glanzformel jener abgeblühten Epoche, deren
Vertreter diese Männer sind, audi noch heute oder heute wieder zu verwenden, so bedarf dieselbe
natürlich unserer grundsätzlichen Besinnung und einer neuen Fundierung, falls sie lebensfähig sein
und bleiben will. Denn die Kunst, deren „Kultur“ es gelten würde, hat eine Wandlung erfahren,
wie sie noch nie eine Kunstzeit (im Verhältnis zu der eben vergangenen Periode) erlebt hat.
Nicht nur um neue Stil- und Farbenwerte wird heute gekämpft, sondern um unendlich mehr: um neue
Grundlagen, neue Aufgaben, neue Inhalte, neue Ziele, neue Wertungen. Wie könnte es also
möglich sein, daß die Kunstkultur die gleiche bliebe, die sie damals war?!
Will man sich, um zu möglichst unzweideutiger Klarheit zu gelangen, in aller Kürze das
Wesentliche der alten Kunstauffassung gegenwärtig machen, so bedenke man zuerst, was sic
nadi Abzug aller idealistischen Draperien für die Künstler letztlich gewesen: ein bürgerlicher
Beruf zum Lebensunterhalt, ein Mittel zum Ruhm, eine Sache der Willkür und ihres Schweißes,
der Laune, der Erfindung, des glücklichen Moments oder Zufalls. Der Menge, soweit sie
künstlerisch „interessiert“ war, galt sie als vornehmer, wenn auch kostspieliger Sport, als Schmuck
und Luxus des Lebens, als Zeitvertreib, als Sadic der Erholung, der Augenweide, der niederen
Lustgefühle, der Kunstvereine und der Sonntagvormittage. Um „Künstler“ zu werden, dazu
war außer einem gewissen Begabungsfonds eine Anzahl akademischer Jahre und der Erwerb
eines bestimmten, und zwar außerordentlich hohen Grades rein technischer, also mechanischer Routine
erforderlich. Ohne eine solche Routine einfache Gefühle und Erlebnisse auf bildmäßigem Wege
zum Ausdruck bringen zu wollen, wäre als ebenso große Vermessenheit erschienen, wie ohne
ästhetisdie Bildung und Vorkenntnisse, rein aus dem Herzen heraus, ein wirkliches Verhältnis
zur Kunst zu haben und Kunsterlebnisse auszudrücken.