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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Deubel, Werner: Hölderlins Untergang
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0235

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HÖLDERLINS UNTERGANG.

Werner Deubel.

Segnend über grauem Land der Stürme glimmt ein Glanz vom Liede seiner Qual.
(Klages.)

|§||!pp|j^S sollte sein, als trete man in einen jener
lamM a^en Tempel, wo zerfurchte Säulen aus
ahnungsvollem Dämmer stumm heran-
kommen, ernste, heilige Zeugen ver-
sunkener Zeiten, die das Herz der Welt noch pochen
hörten. Seht, wie sie aufleuchten, vom Abendschein
umflossen wie von mystischen Gluten, die von weit
her aus den mütterlichen Tiefen des Universums
strömen ! und wie ihr Glanz verstummt zu grauer
trostloser Versteinerung, zum Antliß der Meduse !
So sollte es sein, wenn man von Hölderlin redet.
Wie klein dagegen, wie unendlich torenhaft muh
ein Zeitalter sein, das in diesem von dem grauen-
vollen Flügelrauschen einer unermeßlich tiefen Tragik
begleiteten Leben nur sicht die ekelhaften Zuckungen
einer „psychopathisdi belasteten Natur" ! Wahrlidi,
unserer Zeit, von einem teuflischen Dämon in die
Wüste geleitet, wurde die Natur wenig mehr als die
dinghafte Totheit, zu der Naturwissenschaften und
I echnik sic machten im Dienste einer ärmlichen Nüß-
lidikcit und allerhödistens im Solde des „alten Weibes"
Wahrheit. Und wie mit zwar verstandgespihten
Waffen, aber stumpfer liebeleerer Seele der Mensdi
der entadclten Gegenwart über tiefste Mysterien nur
mehr stammelt und in dem Aschehaufen der Jahr-
hunderte wühlt nadi letzten glimmenden Gluten, um
sie mit anmaßlicher Hand dodi nur zu zerdrücken,
so greifen audi unbedcnklidi seine täppischen Finger
in die zarten Gebilde der Seele eines unserer nidit
größten, aber tiefsten Diditer, und unfähig, in den
Bildern seiner Träume die Regungen einer lebendigeren
Welt zu fühlen, sieht er in ihnen mit dem Mitleid
des Normalmenschen die katatonischen Äußerungen
einer „krankhaften Anlage". Unter der bereits ein
wenig vergeistigten und also lebcnfälsdicnden Perspek-
tive einer klassisdien Meisterlidikeit empfindet ein
gerühmter Sdiriftsteller unserer Tage ein „unangenehmes
Gefühl" beim Lesen Hölderlinsdicr Dichtungen, aller-
dings, wie er hinzufügt — und hier ist es wohl
erlaubt zu lächeln ! — „bei aller schuldigen Ehrfurdit
vor seinem sicher sehr großen lyrischen Talent".
Selbst Wilh. Waiblinger, der Zeitgenosse und Freund
des unglücklichen Dichters, kommt nidit näher dem
Kerne dessen, was sidi eigentlich in den Dämmerungen
dieser heimatlosen Seele vollzog, wenn er, ein Durdi-

schnittskopf und gewöhnt, skh ohne tief notwendige
Ideale in die umgebende Wirklichkeit zu Schicken,
gänzlich versdilossen den tieferen Strömungen metaphy-
sischen Erlebens, die Ursadien zu Hölderlins Untergang
kurzerhand findet in einer „wunden Sentimentalität"
und „unseligen Verkehrtheit, mit der sidi der Didrtcr
gewaltsam in den Wahnsinn hineinarbeitet“. Audi
er nennt den Geist Hölderlinscher Dichtung eine
„tiefe unheilbare Krankheit", entspringend einer „über-
spannten Empfindungsweise".
Ist es nidit, als werde hier eine Lästerung, eine
Tempelschändung begangen ? als rede all diesen kühl
forschenden und „objektiv" prüfenden Literaten und
Ärzten an dem Bilde des ikarischen Jünglings nur
der sdimerzverzerrte Muskel und das zerklüftete Profil
der Krankheit ? Ersdiauert keiner dem fremden Glanz
und unglücklichen Stolze dieses Auges, in dem nodi
ein Schimmer des Gliidees nadizuzittern scheint, das
ihm Blicke vergönnte über die Wolken, durdi die
Schleier, hinter die Nebel? Wenn seine herrlidien
Hymnen die ungeheuren Gesichte seiner Seele beschwören,
regen sich da nidit auch in den Dunkelheiten kleinerer
Seelen leise schwankende Ahnungen von den tieferen
Untergründen und Vergangenheiten ihres schauerlich
verarmten Daseins ?
Es steht zu lesen : die Unzufriedenheit mit der
Gegenwart und der „phantastische Wunsdi nadi Wieder-
belebung eines vergangenen Gesdiichtsabschnitts (?)"
mache Hölderlin zu einem „Seitentrieb“ der Romantik.
War das Ohr derer, die dies sagten, tieferer Kunde
versdilossen ? Hölderlin w a r ein Romantiker, einer
der edelsten, der — und das ist uns das tiefste
Wesen des Romantikers — den Stimmen lauschte,
die eine geheimnisvolle Woge aus den LIrnächten des
Universums hertrug an die Gestade unseres Planeten.
Begreift man, wenn wir sagen : an der Traurigkeit
dieses vorweltlichen Sanges ging Hölderlin zu Grunde,
in den Tiefen seines Wesens leidend an der meta-
physischen Urentzweiung, die in unheilbarem Riß die
schöne Einheit des Lebens zerklüftet ? Von dieser
größten Tragödie, die jemals dem Leben geschah,
wußte er wie die träumerische, sehnsüditige Schar
großer Seelen, die man Romantiker nennt. Ver-
schüttet und nur von den Besten dumpf geahnt und
mißgedeutef, glomm die Kunde ihrer Gesidite in

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