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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Mai-Heft
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Mersmann, Hans: Musikalischer Bolschewismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0697

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MUSIKALISCHER
BOLSCHEWISMUS
DR HANS MERSMANN

Der enge Zusammenhang zwischen Musik und Volkstum war lange Zeit
verborgen geblieben. Jahrhunderte lang hatte man sich um diese Frage
überhaupt nicht gekümmert. Im 18. Jahrhundert wurde die Frage zum
ersten Male in tieferer Absicht gestellt. Die Tanzelemente der verschiedenen
Völker durchdrangen einander: man tanzte oder komponierte in Deutschland
„a la Polonaise“ oder häufiger (wenn auch nicht mit dieser Bezeichnung) „ä la
Francaise“. Da fragte man immer wieder nach den Wurzeln der musikalischen
Sprache im V olkstum und fand (oft sehr schematisch) Erklärungen für die nationalen
Stilmerkmale der drei Kulturvölker, welche damals die Entwicklung trugen: Italien,
Deutschland und Frankreich. Mit dem restlosen Übergewicht der deutschen Musik
etwa von Haydn an trat die Notwendigkeit dieser Frage zurück. Und als sich im
19. Jahrhundert die musikalische Sprache der Völker von neuem vielgestaltig
spaltete, sorgte man sich um diese Entwicklung nicht und lief; sich gemach in den
uferlosen Internationalismus der Kunst, besonders der Musik, hineintragen.
Bis der Gegensah in den lebten Jahren von neuem brennend wurde. Die schein-
bare nationale Selbstbesinnung griff auch auf die Kunst über. Bei jeder Gelegen-
heit wurden Vorträge gehalten, deren Thema entweder »Der Krieg und die Musik«
oder »Das Deutschtum in der Musik« war. Es ist wenig dabei herausgekommen.
Genau so oberflächlich wie man im ersten Falle musikalische Kriegsliteratur an-
einander reihte, von den spartanischen Schladitgesängen bis zu dem jüngsten
schreibtischgeborenen »Kriegslied«, pries man beim zweiten Thema wahllos alles
Deutsche, machte das Fremde lächerlich und sah in der Vaterländischen Ouvertüre
Regers den Höhepunkt einer Entwicklung.
Und nun hat das Thema abermals gewechselt. Man sieht sich in unserer Zeit
einer Richtung gegenüber, die nicht mehr in den alten Rahmen hineinpabt, neue
Ausdruckswerte sucht und mit der Leidenschaftlichkeit jeder jungen Entwicklung
das Alte mit kräftiger Faust zuriickstö^t. Diese Richtung wurde zunächst wie alle


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