Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0401
DOI Heft:
Februar-Heft
DOI Artikel:Edschmid, Kasimir: Profile, 1, Schnitzler oder der psychologische Roman
DOI Artikel:Edschmid, Kasimir: Profile, 2, Keyserling oder der impressionistische Roman
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0401
Sic hat ihr Ma|, streckt sich in ihre Proportion* Im klugen Wissen um die
Grenzen des ihr Möglichen gerät sie nicht auf f als dien Ehrgeiz* Als Ganzes
beschaut, füllt Schnißlersches Werk seinen Plah mit Haltung und meisterlich aus*
Lebte Größe ist ihm versagt, doch kümmert das nicht* Es ist darauf gerichtet,
sich selbst zu genügen, Träger zu sein, nicht Aufwerfer und Neugestalter* Es
will Gereditigkeit vor seiner Zeit. Die Zeit ist in ihm wie in einem Spiegel*
Das ist sehr viel.
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II*
KEYSERLING ODER DER IMPRESSIONISTISCHE ROMAN*
Die Gefahr des Feudalismus warfen die französischen Revolutionen schon gegen
die Wand, Adel ist heut keine Drohung mehr gegen die Freiheit, Feind
ist allein die geistverdickende Bourgoisie, Adel ist heut erlesenes Prinzip und
Symbol der Züchtung* Seine Männer sind körperlich Träger guter Gewohn-
heiten, seine Frauen haben allein (neben Jüdinnen) Rasse und Körper und Takt
des Anzugs* Der Ausleseprozeß hat sie durch Generationen müd gemacht, aber
er hat sie gestaltet* Kosmopolitische Ansicht einigt sich gern mit dem Weitblick
alter Magnaten, nie mit dem kleinen und schneidigen Vertreter raschen Reich-
tums oder bedachtsamer Bürgerlichkeit* Zwischen guten Revolutionären und alter
konservativer Rasse ist immer ein Findepol, denn beide haben die Kühnheit
und die Rücksichtslosigkeit von Ideen um sich* Wird das Gezüchtete, Adlige
sogar geistige Auslese, ergibt sich unbedingt eine Hochsteigerung des National-
Möglichen* Vielleicht, daß es beschränkt und problematisch, verfluchbar oder
politisch-hymnisch ist, jedenfalls wird es eine ganze Sache sein* Denn in solchen
Verfeinerungen trifft sich der aus dem Jahrhundertwerden aufsteigende Saft mit
der Wellenbrechung der Zeit* Nicht in Büchern, Reden und Museen setd sich
Kultur und Bewußtsein ausgeglichener und großer Vergangenheit fort, sondern
wie jede große Musik nur in den Menschen, Der Reinhalteproziß der Aristokratie
ist irgendwie inferior, weil er, nah bornierten Gesichtspunkten angelegt, nur
Mäht, Würde oder Ansehen, nicht Geist und überhaupt Führerqualität durh
die Jahrzehnte misht und schleudert* Aber es ist ein, wenn auch enger, so doh
unbestreitbarer Ziihtungsvorgang* Hier kommt aus gepflegter und immer
wahgehaltener Tradition Taf, Leidenshaft und Dasein vergangenen Geistes
heraus, Nihts Gelebtes, Gedahtes, was eine Zeit groß mähte, was hier nicht
in dem Bewußtsein noh säße* Darum ist ihre Bewegung mehr nah rückwärts
geneigt, weil sie früher stark nah vorne gingen* Sie sind belastet und niht
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Grenzen des ihr Möglichen gerät sie nicht auf f als dien Ehrgeiz* Als Ganzes
beschaut, füllt Schnißlersches Werk seinen Plah mit Haltung und meisterlich aus*
Lebte Größe ist ihm versagt, doch kümmert das nicht* Es ist darauf gerichtet,
sich selbst zu genügen, Träger zu sein, nicht Aufwerfer und Neugestalter* Es
will Gereditigkeit vor seiner Zeit. Die Zeit ist in ihm wie in einem Spiegel*
Das ist sehr viel.
0
II*
KEYSERLING ODER DER IMPRESSIONISTISCHE ROMAN*
Die Gefahr des Feudalismus warfen die französischen Revolutionen schon gegen
die Wand, Adel ist heut keine Drohung mehr gegen die Freiheit, Feind
ist allein die geistverdickende Bourgoisie, Adel ist heut erlesenes Prinzip und
Symbol der Züchtung* Seine Männer sind körperlich Träger guter Gewohn-
heiten, seine Frauen haben allein (neben Jüdinnen) Rasse und Körper und Takt
des Anzugs* Der Ausleseprozeß hat sie durch Generationen müd gemacht, aber
er hat sie gestaltet* Kosmopolitische Ansicht einigt sich gern mit dem Weitblick
alter Magnaten, nie mit dem kleinen und schneidigen Vertreter raschen Reich-
tums oder bedachtsamer Bürgerlichkeit* Zwischen guten Revolutionären und alter
konservativer Rasse ist immer ein Findepol, denn beide haben die Kühnheit
und die Rücksichtslosigkeit von Ideen um sich* Wird das Gezüchtete, Adlige
sogar geistige Auslese, ergibt sich unbedingt eine Hochsteigerung des National-
Möglichen* Vielleicht, daß es beschränkt und problematisch, verfluchbar oder
politisch-hymnisch ist, jedenfalls wird es eine ganze Sache sein* Denn in solchen
Verfeinerungen trifft sich der aus dem Jahrhundertwerden aufsteigende Saft mit
der Wellenbrechung der Zeit* Nicht in Büchern, Reden und Museen setd sich
Kultur und Bewußtsein ausgeglichener und großer Vergangenheit fort, sondern
wie jede große Musik nur in den Menschen, Der Reinhalteproziß der Aristokratie
ist irgendwie inferior, weil er, nah bornierten Gesichtspunkten angelegt, nur
Mäht, Würde oder Ansehen, nicht Geist und überhaupt Führerqualität durh
die Jahrzehnte misht und schleudert* Aber es ist ein, wenn auch enger, so doh
unbestreitbarer Ziihtungsvorgang* Hier kommt aus gepflegter und immer
wahgehaltener Tradition Taf, Leidenshaft und Dasein vergangenen Geistes
heraus, Nihts Gelebtes, Gedahtes, was eine Zeit groß mähte, was hier nicht
in dem Bewußtsein noh säße* Darum ist ihre Bewegung mehr nah rückwärts
geneigt, weil sie früher stark nah vorne gingen* Sie sind belastet und niht
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