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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Februar-Heft
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Edschmid, Kasimir: Profile, 2, Keyserling oder der impressionistische Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0402

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aktiv mehr, aber das Reservoir, die grolle Stauung des Seitherigen, ein enormer
Besiß. Hier einigt sich überliefertes mit Blut, ein unerhörtes Zusammentreffen.
Denn wirkender Stil ist ja nicht Oberfläche, sondern tiefe Verankerung.
Nie Gewohnheit, sondern aus dem Mu| herausgegangene, immer wieder bejahte
Form, die stündlich begründet, sekündlich durch atmet wird. Stil sind die drei
Kronen auf den schwedischen Banknoten, auf den Eisenbahnpolstern, das Zeichen
ist selbstverständlich, räumlich schön, ist kurz, symbolisch geworden, in den
Volkskörper übergegangen. Stil ist Walpurgis auf Haselbakken, ist der All-
gäuer Hagerlschuh, ist der Kontakt der Gräfin M. mit den Pergamentbüchern
und Wappen in ihrem Burgiurm, ist das Lächeln einer Pariserin im lateinischen
Viertel, Essen im Cafe de la Paix, das Fest nach der Hopfenernte am Bodensee,
Smörgäsbord auf skanischen Schlössern, ist die Anmut einer verschlossenen Dame,
die Geistiges andeutet. Alles ist nicht Gekonntes, Gelerntes, überall ist die
Form wie Nebensächliches, ja schon souverän jenseits des Formalen beherrscht
von einem alten Gehalt, von Errungenem und sich in den Sitten und Äußerlich-
keiten spielerisch weiterbewegender Wahrheit. Stil ist kein Korsett, keine Rücken-
marksstarre, sondern die ungemeine Lebendigkeit derselben Sache. Stil ist ganz
rund, ganz eindeutig, ganz bestimmt und präzisierbar wie ein Körper, jedoch
in seiner Vollkommenheit so vibrierend, so erregend und derart ungewöhnlich
scheinend, daß er nicht zu bestimmen ist. Ganz feminin im Reiz. Nicht heute
Köchin, morgen Dame, dann Dirne, dann Weib, sondern das Weibliche schlechthin
und zwar in der Form der tadellosen Dame, jedoch mit solchem Geschiller und
derartiger MöglichkeitsÜnie in Gesicht, Geruch und Stellung, daß alles, was
ausdenkbar und erwünscht in weiblichem Weltbild, darum ist. Stil ist darum
nie Mode. Nur kindische und flache Denker verwechseln seine Äußerung und
seinen treibenden Grund. Was heute Expressionistisches ist, bleibt in den echten
Äußerungen nach 20 Jahren dasselbe, nur mit anderem Namen. Ewiges ward
immer in die Spirale modischer Form gebaut, und was Dürer, was Rembrandt
seinen Mitmenschen bedeutsam zu machen schien, war sicher das Nebensächliche,
nicht sein Kern. Schreien im Jahre Neunzehnhundertzwanzig Dadaistenjünglinge
den Tod des Expressionismus aus, ist das ein Zeidien ihres Hirnes, das im
Tempo der Schreibmaschinen nur Zeit und Symptome faßt, nur sieht, daß eine
seit Persiens Miniaturen, seit Amenophis, Böhme, Ekkehard, Bühner, Strindberg
bestehende geistige Richtung in ihrer modischen Schale falsch verstanden und
von Knaben und Snobs zu blendenden Exerzitien vergewaltigt wird. Irgendwo
ist unter uns, ist in uns der dunkle Strom eingeschaltet, der das nie versiegende
Feuer des Geistes auf uns richtet und die uralten Gehalte weitertreibt in die
Kanäle des großen Ausbruchs und der inneren Verbundenheit. Auch das ist
Stil. Er hat keine Geseße, sondern Berufung. Ein Bauer, ein Proletarier kann
fortseßen, was vor hundert Jahren an erlaubter Stelle herauskam. Friß von Unruh
schreibt manchmal, als ginge keine Überlieferung ihm voraus. Der Sohn eines
Mehihändlers schwärmt in verzücktesten Adelstraditionen. Die Völkerattitüden

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