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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Edschmid, Kasimir: Profile, 2, Keyserling oder der impressionistische Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0403

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selbst vertauschen sich scheinbar. Der Däne Jensen schreibt wie ein Norweger,
Maadelung wie ein halber Russe. Deutsche manchmal wie Oesterreicher. Audi
zwischen Deutschen und Franzosen beginnen Wechselspiele. Am deutlichsten
bleibt immer der Russe, trohdem ist Kusmin vollständig französisiert. Dennoch
gibt es dem Kenner und Einsauger des Vorgeseßten leßthin keinen Zweifel.
Aus der Zivilisationsgier des kleinen Mannes dringt die Geilheit, mehr zu
scheinen, durch neben der Sehnsucht, die vielleicht vorhanden nadi wahrer Er-
höhung. Irgendein Fadendünnes ist auch im Jenseits Wolfgebiß. Das Welt-
gefühl, die geistige Substanz, die das Ganze gliedert, ihm den Aufbau gibt
und die Wärme, in der es atmet, schwankt unentrinnbar herauf. Nichts ist
delikater wie Stil. Vor so langer Pflege besteht nichts, was nicht auserwählt
ist, und was seine Natur verlädt, wird verlogen und ist erledigt. Nur innere
lebte Wahrheit bringt ans Ziel, und die grobe wilde Geste des zupackenden
Stürmers hat genau die Überlieferung des Geistes, wie jene des Besingers der
langen schönen Finger und der abgewandten in sich selbst zufriedenen Gebärden.
Nur gibt es einen Unterschied: Wohl ist auch Zusammenhang zwischen Revo-
lutionär und Revolutionär. Aber das Weltgefühl einer Rasse, das in ihr auf-
gespeichert in jeder Bagatelle des banalen Lebens Ausdruck und Sinn fand,
kommt in ganz anderer Abgeschlossenheit, ganz anderer Endgültigkeit ins Kunst-
werk, hat einer dieser Rasse selbst den Funken, der ihn aufsteigen läßt und
reden. Hier ist alles vorbereitet. Eine innere Grölte des Stils ist als Vor-
bedingung vorhanden von einer Sicherheit, die tödlich, einer Glätte des Seelischen,
die souverän, einer inneren Haltung, die von vornherein grenzenlos überlegen
steht über Ahnungslose, die stumpf und unklar nach dem noch forschen, was
jener im Blut hat.
Als daher die Jünglinge und Männer scharenweise begannen, die Welt in
kleine Teile zu zerlegen und mit Watte, Sachet und Sentiment umbrämt die
einzelnen Stücke nebeneinanderzustellen, als ein Dilettantismus des Schreibens
ausbrach, der keine Scham trug neben so ausgezeichneten Künstlerleistungen
der impressionistischen Malerei zu existieren, als die Mädchen und Jungfrauen
Deutschlands in Ansammlungen sich aufmachten, Kellermann zu lesen, blieb
Keyserling, Graf, Balte und Dichter die einzige Entschuldigung, die einzige
Rechtfertigung dieser Zeit. Er ist nahe bei Renoir. Er hält Deutschland allein
gegen Bang und Jakobsen. Was Kellermann im Virtuosen, Altenberg im Albernen
mit Erfolg unternahmen, rechtfertigte er in Stille. Sonst haben wir niemand.
In der Malerei Liebermann, Slevogt. Dieser Stil hat wenig Positives jenseits
der Trikolore geschaffen, wo Renoir über Manet und Pissaro die glänzende
und ruhige Schönheit eines Jahrhunderts in silbernen Rausch fing. Präsentiert
man uns Pierre Loti, die Dänen, den Schweden Gejerstam, Peladan, den Eng-
länder Wells, den Russen Korolenko, Brjussow, den Anfang des Spaniers Baroja,
ständen wir mit schlappen Mäulern, hätten wir den einen nicht. Er ist sogar,
was kein deutscher Maler der Zeit, kein Dichter sagen kann, unbeeinflußt. Die

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