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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Istel, Edgar: Musikdrama oder Oper?
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0630

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MUSIKDRAMA ODER OPER?
D? EDGAR ISTEL
Jenes eigentümliche Bühnenkunstwerk, das eine dramatische Handlung unter
Mitwirkung von Gesang, Orchester und Tanz zu szenischer Darstellung bringt,
hat im Laufe der Jahrhunderte nicht nur verschiedene stilistische Wandlungen
durchgemacht, sondern demgemäß auch verschiedenartige Benennungen erlebt.
Von diesen haben die Bezeichnungen „Oper“ und „Musikdrama“ als am meisten
charakteristisch sich erwiesen für zwei Extreme, die als Vorherrschaft der Musik
(in der „Oper“) und überwiegen des Dramas (im „Musikdrama“) am kürzesten
zu bezeichnen sind. Begonnen hat die Kunstform, mit der hochbegabte Dilettan-
ten Ende des 16. Jahrhunderts in Florenz die antike Tragödie wiederbeleben woll-
ten, als Musikdrama. Dies ist sehr natürlich, wenn man bedenkt, dab die „neue
Musik“, wie man es damals nannte, nichts anderes war als die Wiederentdeckung
des Einzelgesangs, der „Monodie“, die unter dem kontrapunktischen Wust der
niederländischen Komponisten ganz abhanden gekommen war. Dab dieser erste
musikalisch-dramatische Stil („Stilo rappresentativo“) der Melodie im modernen
Sinne des Wortes aus dem Wege ging und sich rein deklamatorisch verhielt, ist
ebenso begreiflich; sollte doch zunächst einmal der dramatische Grundcharakter
dieser neuen Musik unzweideutig festgestellt werden. Merkwürdig ist jedoch, dab
sdron bei diesen allerfrühesten Versuchen Vertreter zweier verschiedener Richtungen
zutage traten: Peri, der strenge dramatische Komponist, und Caccini, dessen ge-
sanglidre Vorbildung ihn bald schon zur Einführung der Koloratur, also eines
reinmusikalischen Elements, brachte. Später sind dann diese zwei Richtungen
periodenweise aufeinandergefolgt, soda| stets auf die allzustrenge Betonung des
dramatischen Prinzips eine musikalisch-überschäumende Epoche kam, aber eben-
so sicher nach einer Periode der Musik-Herrschaft wieder eine scharfe dramatische
Wendung erfolgte, als deren markanteste Vertreter der „Reformator“ Gluck und
der „Revolutionär“ Wagner erschienen. Glucks Reform wandte sich nur gegen
die Auswüchse der vor ihm herrschenden „neapolitanischen Schule“, die die ab-
solute Alleinherrschaft des »Bel canto« proklamiert hatte und damit ein Prinzip
durchführte, das den ursprünglich nur aufs Dramatische gerichteten Intentionen
der Gattung zuwiderlief. Gluck stellte also mit seiner Reform nur die ursprüng-
lichen Tendenzen wieder her, lieb aber alles Gute (auch die Form, welche die Nea-
politaner entwickelt hatten) bestehen und beschnitt nur die Auswüchse. Er war
— i—HiaB—WB

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