Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0191
DOI Heft:
November- Dezember-Heft
DOI Artikel:Kahnweiler, Daniel-Henry: Das Wesen der Bildhauerei
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Georges Minne
„Die Auferstehung“
Marmor, im Besit? der Galerie Flechfheito, Düsseldorf.
DAS WESEN DER BILDHAUEREI.
Daniel Henry.
J5 Kunst, deren Erzeugnisse sidr uns unvermittelt siditbar darbieten, als „bildende
Kunst“, steht die Bildhauerei zweifellos, augenfällig, vor uns. Weniger gesidiert,
Zweifeln ausgeseljt vielmehr, ist ihr Verhältnis zu den andern bildenden Künsten.
Wenn wir die Werke der bildenden Künste auf ihre Bestimmung prüfen, so
eröffnet sidi uns eine ernste Verschiedenheit innerhalb ihrer Gruppe. Die Architektur und
die Tektonik tragen ihre Bestimmung in ihrem Eigensein, während die Malerei und die Bild-
hauerei über ihr Eigensein hinaus auf etwas anderes hinweisen, das sie „darstellen“. Das
Gemälde ist nidit nur eine mit Linien und Farben bedeckte Fläche, sondern weiter noch „Land-
schaft“ oder „Bildnis“, die Skulptur nidit nur Stein- oder Metallkloh, sondern nodi „Büste“
oder „Akt“. Wir werden also Ardiitcktur und Tektonik angewandte bildende Künste nennen,
im Gegensah zu der Malerei und Bildhauerei, den darstellenden bildenden Künsten. Deutlich
sei sofort betont, dab das nidit so zu verstehen ist, als ob damit ein Gegensah aufgesfellt sei
von „angewandten“ und „freien“ Künsten. Man lasse sidi nidit verwirren durch die land-
läufige hedonistisdie Ästhetik, die vom ästhetisdien Genuh als dem Zwecke des „freien“ Kunstwerks
spricht: dieser Genuh ist die Wirkung des Kunstwerks auf den äsfhetisdi empfänglichen Beschauer,
nidit aber der Zweck, dem die Sdiaffung dieses Kunstwerkes gehordite. Seinen Zweck vielmehr
erfüllt das darstellende Kunstwerk in der Darstellung, das angewandte Kunstwerk in seiner
Verwendung, Nur hierin liegt beider Gegensatz Es fragt sidi nun, ob sidi dieser Gegensah
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