Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0927
DOI Heft:
September-Heft
DOI Artikel:Weber, Carl Maria: Monolog am Abend
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MONOLOG AM ABEND
CARL MARIA WEBER
Glefscherglorie des Abends, hinschmelzend in das Ahnen fern erblühender
r Hügel, zerfliegend in das weiche verebbende Treiben der Luft, hebend
Schaffen, vag umschwebende, aus nieversiegenden Schächien des
Traums — wie du neu mich füglich zerschmeffersf! Wie du das unaufhaltsame,
unwiederbringliche Vergleifen alles dessen, was wir lieben und halfen möchfen,
in grausamer Schönheü mir deuflich machsf! Isf eine Brücke, auf der wir rasfen
könnfen, ins ewige Versfrömen des groben Afems Welf gef an? Wer mag Einhalf
tun dem ständigen Verschleudern, Ausschütten all des Lebens, das an jeder Sekunde
sich frische Wunden schlägt? So sind verdammt wir, Tod hinter allen Dingen zu
sehen- Durchsichtig, gläsern und spröde sind uns die Masken der Harmlosigkeit,
Geschäftigkeit, der würdevollen Ränke des großartigen, lärmenden Geschehens
zwischen Stein und Weife, in den verschwiegenen Gemächern, bei allem menschlichen
Beieinander. Und die großen, aufgeblähten Worte! (Nicht die toten, ungelebfen,
ausgemünzten, meine ich, die ihr reißendes Dasein verwirkten in den abertausend
unbedachten Mündern ihrer täglichen Mörder!) Worte, die scheinbar Bewußtsein
atmen, aber den verpesteten Lügenafem ihrer Gebärer erstarrt in den Raum geben,
mit Weihe noch sich aufplusternd. Tod, hinter allen Dingen, allem Werden und Ge-
schehen! Du unausdenkliches, grausiges Ende, Klang und Schwung des streifenden
Lichtes auf hebend, Stillstehen des tanzenden Tag-Raumes, all des unerhörten Le-
bens, das zwischen den Dingen isf! Was isf dieser Baum, jener entrückte Schrift,
der uns erbeben macht, ein sommerlidi hinrasendes Gewitter über dörrender, schwüle-
ersfarrfer Stadt, die Freude eines Freundesbriefes — was sind diese fabelhaft-
einmaligen Ereignisse gegenüber dem, was sie bedeuten, ihrem millionenfachen
Sein in uns, ihrer Verbindungspofenz in dem Raum, den wir erdacht! Wird das
wenigstens bleiben? Ach, hinfällig auch diese Welf, und mögen wir sie tausend-
mal neu gestalten und über uns hinsfellen, sie erheben aus der Dunsfersfarrnis
ihres Seins in eine Sphäre dauerhafteren Lebens. Weil WIR uns ändern, weil
WIR verfallen, verfällt die Welf. O wie wünschte ich, daß nur dieser erlöschende
Abend mir solchen Geseßes Gültigkeit eingegeben habe. . . .
Heut schwebte auf mittäglicher Straße ein Kind vor mir her, anmuügsf irdisches
Geschöpf, wehendes Strahlenbündel. Ein ganzjunges, kaumerwachtes Mädchen.
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CARL MARIA WEBER
Glefscherglorie des Abends, hinschmelzend in das Ahnen fern erblühender
r Hügel, zerfliegend in das weiche verebbende Treiben der Luft, hebend
Schaffen, vag umschwebende, aus nieversiegenden Schächien des
Traums — wie du neu mich füglich zerschmeffersf! Wie du das unaufhaltsame,
unwiederbringliche Vergleifen alles dessen, was wir lieben und halfen möchfen,
in grausamer Schönheü mir deuflich machsf! Isf eine Brücke, auf der wir rasfen
könnfen, ins ewige Versfrömen des groben Afems Welf gef an? Wer mag Einhalf
tun dem ständigen Verschleudern, Ausschütten all des Lebens, das an jeder Sekunde
sich frische Wunden schlägt? So sind verdammt wir, Tod hinter allen Dingen zu
sehen- Durchsichtig, gläsern und spröde sind uns die Masken der Harmlosigkeit,
Geschäftigkeit, der würdevollen Ränke des großartigen, lärmenden Geschehens
zwischen Stein und Weife, in den verschwiegenen Gemächern, bei allem menschlichen
Beieinander. Und die großen, aufgeblähten Worte! (Nicht die toten, ungelebfen,
ausgemünzten, meine ich, die ihr reißendes Dasein verwirkten in den abertausend
unbedachten Mündern ihrer täglichen Mörder!) Worte, die scheinbar Bewußtsein
atmen, aber den verpesteten Lügenafem ihrer Gebärer erstarrt in den Raum geben,
mit Weihe noch sich aufplusternd. Tod, hinter allen Dingen, allem Werden und Ge-
schehen! Du unausdenkliches, grausiges Ende, Klang und Schwung des streifenden
Lichtes auf hebend, Stillstehen des tanzenden Tag-Raumes, all des unerhörten Le-
bens, das zwischen den Dingen isf! Was isf dieser Baum, jener entrückte Schrift,
der uns erbeben macht, ein sommerlidi hinrasendes Gewitter über dörrender, schwüle-
ersfarrfer Stadt, die Freude eines Freundesbriefes — was sind diese fabelhaft-
einmaligen Ereignisse gegenüber dem, was sie bedeuten, ihrem millionenfachen
Sein in uns, ihrer Verbindungspofenz in dem Raum, den wir erdacht! Wird das
wenigstens bleiben? Ach, hinfällig auch diese Welf, und mögen wir sie tausend-
mal neu gestalten und über uns hinsfellen, sie erheben aus der Dunsfersfarrnis
ihres Seins in eine Sphäre dauerhafteren Lebens. Weil WIR uns ändern, weil
WIR verfallen, verfällt die Welf. O wie wünschte ich, daß nur dieser erlöschende
Abend mir solchen Geseßes Gültigkeit eingegeben habe. . . .
Heut schwebte auf mittäglicher Straße ein Kind vor mir her, anmuügsf irdisches
Geschöpf, wehendes Strahlenbündel. Ein ganzjunges, kaumerwachtes Mädchen.
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