Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0663
DOI Heft:
Mai-Heft
DOI Artikel:Chapiro, Joseph: Richard Dehmel als Held seines Werkes
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RICHARD DEHMEL
ALS HELD SEINES WERKES*
von JOSEPH CHAPIRO.
MEINEM FREUNDE UND KAMERADEN L.R-L, IN ERINNERUNG
AN UNSERE LETZTEN UNTERHALTUNGEN UBER DEHMEL
Mit sechs und fünfzig Jahren, in der Fülle seiner Kraft und der Blüte
seiner Kunst legte er sich nieder, lag fast drei Monate krank und
Lstarb. Und diese Hände, die solch herrliche Verse schrieben, diese
Stirn, hinter der sich sein buntes Weltgehirn verbarg, diese Nasenflügel, ähnlidi
denen eines Baudelaire, welche schwellten und sich erweiterten, um besser den
Duft dieser „schönen, wilden Welt“ — die er so gern besang — einzuatmen, alles
dies erbleichte und wurde starr und kalt. Dann nahm man den Körper mit den
langen Armen, die so lang waren, dal^ man an die Arme eines Jesus am Kreuze
denken mu|fe, die am Saume eines Weges sich in die Nacht verlieren und wachen
über die ganze Welt — man hat den Körper genommen, man hat ihn in einen
Sarg gebettet, man hat ihn in ein Krematorium geführt, und nur Asche blieb
zurück.
Ich sehe sein Haus wieder und die schattige Westerstra^e, und den ganzen Weg,
der dorthin führt. „Vom hiesigen Bahnhof aus“, wie er mir in einem seiner
Briefe schrieb, „gehen Sie nadi rechts die Wedeier Chaussee entlang, immer
geradeaus bis zur West erstralje, da wohne ich, links um die Ecke neben einer
Gastwirtschaft.“ . . .
Als er mir sagte, idi solle ihn besuchen, war ich durch meine Arbeit verhindert,
zu ihm zu kommen. Als ich mich endlich entschloß, nach Llamburg zu fahren,
erhielt ich die telegraphische Nachricht, er wäre so krank, dah er niemand
empfangen könnte. Und so war es bis zu seinem Tode . . . Und den Weg zu
seinem Hause, den er mir so naiv geschildert hatte, beschritt ich erst dann, als
idi ihn Donnerstag, den 12. Februar, auf seinem lebten Wege begleiten mu^te.
Ich kenne niemand unter den deutschen Dichtern von Dehmels Generation,
der denselben Ruf im Ausland genösse als der Verfasser des Gedidites: »An
mein Volk«. Gorki sagte von ihm, er wäre genial. In Frankreich nennt man ihn
* Diese Rede wurde
an der Ridiard-Dehmel-
Gedäditnisfeier im
groljen Saale des Ham-
burger Konvenfgarfens
am 27. Februar 1920
gehalten.
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