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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Beyer, Oskar: Der Maler Janthur
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0559

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DER MALER JANTHUR

DR OSKAR BEYER

Die geistige Geschichte des neueren Zeitalters enthält eine ganze Reihe von
Umwendungen des Entwicklungsganges, von „Rückkehren** zu längst-
vergangenen Stufen, die plötdich in der Helligkeit des Ideals zu strahlen
beginnen; unter all diesen Versuchen und Unternehmungen, die immer das un-
mittelbar vorhergehende oder noch bestehende Kulturstadium verneinen und
angreifen, lälsich unterscheiden zwischen solchen Bewegungen, die auf kulturell
besonders mächtige Epochen (z. B. die griechische oder miffelalterlidie) zurückgreifen,
und anderen, die weif radikaler, alles bisher Erworbene für unwert erklären und
ganz von vorne anzufangen entschlossen sind, Rousseau ist der erste gewesen, der
das Ideal der Kulfurlosigkeif, des „Naturzustandes“, der „ersten Menschen“
gegenüber der Uberkulfur des Rokoko-Zeitalters mit der ganzen Leidenschaft seiner
Natur zur Geltung brachte. Seine Wirkungen sind unme^bar gewesen, wenn auch
meistens unterirdisch verlaufend, auch heute sind sie immer noch nicht erschöpft.
Eine Bewegung, in die wir alle doch irgendwie verflochten sind, die unter dem
Sammelnamen „Expressionismus“ zusammengefabte, lä^t sich zum mindesten
als grolle historische Parallele zu der Wirkung bezeichnen, die der „Genfer
Bürger** in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entfesselt hat. Die heutige
Welle, die nicht von einem Einzelmenschen ausgegangen, läbf die von damals,
scheint mir, noch weif hinter sich: die Rückschlagsbewegung gegenüber der bis-
herigen und insbesondere der lebten Kunst- und Kulturenfwicklung war noch nie
so breit und fanatisch und allgemein. Vor einer unübersehbaren Reihe neuer
Werke findet man sich zurückgeworfen zu den Anfängen der künstlerischen Be-
tätigung überhaupt, und es ist die unerschütterliche Überzeugung vieler heutiger
Künstler und ihrer Verfechter, dab wir nach all den Irrwegen des vergangenen
Jahrhunderts unbedingt zurück müssen zu den Quellen, um ganz von neuem zu
beginnen und alle Künste auf ihr wahres Fundament zu gründen, d. h. auf ein
Sch affen von der Seife des Subjektiven aus. Der „Primifivismus“, den man
gemeinhin als eine unter vielen Spielarten der neuen Kunst versteht, hat eine ihrer
allerwesenflichsfen Forderungen zum Programm gemacht; lebten Endes bezeichnet
er aber die tiefste gemeinsame Leistung des gesamten expressionistischen Wollens
überhaupt: das Ziel des Einfachen, die Abkehr von der Kompliziertheit.

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