SITTLICHE ZIELE IN NEUESTER DICHTUNG.
Oskar WalzeI.
ER Deutsche erlebt heute um und in sidi Umstellungen, wie sie ihm vielleicht
noch nie, gewilj nie in gleicher Schnelligkeit zuteilgeworden waren. Das Antlitp
der Welt, in die er zu blicken hat, ist bis zum Unkenntlichen, ja bisher Undenkbaren
verändert. Äui^erlidr und innerlich soll er sidi dem überwältigenden Neuen
anpassen. Dringlich tut es not, scharf nachzuprüfen, wieweit die neuen Ein-
und Umstellungen gehen dürfen, wenn anders deutsches Wesen nidrt sdrwere Einbuße erleiden
soll. Scheint es dodr vorläufig, als seien alte Schlagwörter zu gebraudren — das Volk der Tat,
das aus einem Volk der Didrter und Denker hervorgegangen war, auf dem besten Wege, ein
Volk der Hamster, Sdrieber und Spieler zu werden.
Vieles, was heute wie ein unabweisbares Gebot der Stunde hingenommen wird und den
Ansdrein erweckt, es sollte unverlierbarer Besitz der Zukunft sein, wird bald wieder versdiwinden.
Gutes wie Sdrledrtes kann auf soldiem Wege verloren gehen. Kaum aber vermag heute sdron
gesagt zu werden, was an den jüngsten Errungensdraften deutsdren Lebens für gut, was für
schledrf gelten soll. Weniger als je ist der Miterleber heute in der Lage, eine Stelle zu finden,
von der weife Ubersdiau und mit ihr die Möglichkeit gegeben wäre, den rechten Weg in die
Zukunft zu erkennen. Tappen wir nicht alle im Finstern? Ein Urteil über die Gegenwart, ein
Bewerfen ihrer Taten dürfte völlig ausgeschlossen sein. Nur eins scheint fesfzusfehen: Manches
muh anders werden, als es bis vor kurzem gewesen ist.
Nicht von Politik spreche ich hier, sondern vom geistigen Verhalten. Nidrt die Aufgaben,
die der Staat, sondern die Pflichten, die das Seelenleben des Volks auferlegt, habe idr im Auge.
Umwälzung herrscht hier wie dort, auf politischem wie auf dem Felde geistiger Bildung. Die
Deutschen, sonst als schwerbeweglidr verrufen, geraten unversehens in eine ungewohnte Lust,
mehr des Zerstörens als des Neuaufbauens. Nach neuen Zuständen strebt man. Das Alte
wird ohne viel Bedenken verworfen.
Offen bleibe die Frage, wie tief in die Volksseele hinein dieser geistige Umwandlungsdrang
reicht. Es wäre kein gutes Zeidren, wenn er minder stark wäre als das Bedürfnis nach politischer
Erneuung. Denn dringender nötig als je ist heute kräftige Betätigung des Geistes. Nur wenn
geistige Anliegen wieder zu wirklich ernsten und ernstgenommenen Fragen werden, ist von deutscher
Zukunft Gutes zu erhoffen.
Ohne Zweifel kann audr der geistig bedeutungsvollste Umsturz Besitze vernichten, die wert
sind, vor Vernichtung bewahrt zu bleiben. Der König ist tot, es lebe der neue König! So
heilst es auch hier. Dodr unvergessen bleibe, da^ der neue König nur dann berufen ist, etwas
Grobes und Gutes zu leisten, wenn er zu Lebzeiten des alten sdron sidr auf den Thron vorbereitet
hat und sein Wissen und Können nidrt blolj von heute ist.
Die Gedanken, die im Augenblick auf dem Gebiet geistigen Schaffens zum Siege gelangen
wollen, sind nidrt von heute. Wer das Gestern und Vorgestern unbedingt verwirft, um dem
neuen Heute freien Raum zu schaffen, vergesse nicht, dalj er auf Vergangenem aufbaut und
selbst ein Sohn der jüngsten Vergangenheit ist.
Grimmige Lust herrscht jet^t, die Vergangenheit zu verurteilen. Geschmäht werden die Jahre
seit der Neubegründung des Deutschen Reichs, wird besonders die Zeit, die auf wissenschaftlidrenr
Gebiet den Relativismus, auf kiinsflerisdrem Gebiet den Impressionismus, diesen Zwillingsbruder
des Relativismus, gezeitigt hat. Relativismus wie Impressionismus gelten heute in gleidrem Maf$
für abgetan. Man meint nicht nur weitergekommen, auch höher gestiegen zu sein.
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Oskar WalzeI.
ER Deutsche erlebt heute um und in sidi Umstellungen, wie sie ihm vielleicht
noch nie, gewilj nie in gleicher Schnelligkeit zuteilgeworden waren. Das Antlitp
der Welt, in die er zu blicken hat, ist bis zum Unkenntlichen, ja bisher Undenkbaren
verändert. Äui^erlidr und innerlich soll er sidi dem überwältigenden Neuen
anpassen. Dringlich tut es not, scharf nachzuprüfen, wieweit die neuen Ein-
und Umstellungen gehen dürfen, wenn anders deutsches Wesen nidrt sdrwere Einbuße erleiden
soll. Scheint es dodr vorläufig, als seien alte Schlagwörter zu gebraudren — das Volk der Tat,
das aus einem Volk der Didrter und Denker hervorgegangen war, auf dem besten Wege, ein
Volk der Hamster, Sdrieber und Spieler zu werden.
Vieles, was heute wie ein unabweisbares Gebot der Stunde hingenommen wird und den
Ansdrein erweckt, es sollte unverlierbarer Besitz der Zukunft sein, wird bald wieder versdiwinden.
Gutes wie Sdrledrtes kann auf soldiem Wege verloren gehen. Kaum aber vermag heute sdron
gesagt zu werden, was an den jüngsten Errungensdraften deutsdren Lebens für gut, was für
schledrf gelten soll. Weniger als je ist der Miterleber heute in der Lage, eine Stelle zu finden,
von der weife Ubersdiau und mit ihr die Möglichkeit gegeben wäre, den rechten Weg in die
Zukunft zu erkennen. Tappen wir nicht alle im Finstern? Ein Urteil über die Gegenwart, ein
Bewerfen ihrer Taten dürfte völlig ausgeschlossen sein. Nur eins scheint fesfzusfehen: Manches
muh anders werden, als es bis vor kurzem gewesen ist.
Nicht von Politik spreche ich hier, sondern vom geistigen Verhalten. Nidrt die Aufgaben,
die der Staat, sondern die Pflichten, die das Seelenleben des Volks auferlegt, habe idr im Auge.
Umwälzung herrscht hier wie dort, auf politischem wie auf dem Felde geistiger Bildung. Die
Deutschen, sonst als schwerbeweglidr verrufen, geraten unversehens in eine ungewohnte Lust,
mehr des Zerstörens als des Neuaufbauens. Nach neuen Zuständen strebt man. Das Alte
wird ohne viel Bedenken verworfen.
Offen bleibe die Frage, wie tief in die Volksseele hinein dieser geistige Umwandlungsdrang
reicht. Es wäre kein gutes Zeidren, wenn er minder stark wäre als das Bedürfnis nach politischer
Erneuung. Denn dringender nötig als je ist heute kräftige Betätigung des Geistes. Nur wenn
geistige Anliegen wieder zu wirklich ernsten und ernstgenommenen Fragen werden, ist von deutscher
Zukunft Gutes zu erhoffen.
Ohne Zweifel kann audr der geistig bedeutungsvollste Umsturz Besitze vernichten, die wert
sind, vor Vernichtung bewahrt zu bleiben. Der König ist tot, es lebe der neue König! So
heilst es auch hier. Dodr unvergessen bleibe, da^ der neue König nur dann berufen ist, etwas
Grobes und Gutes zu leisten, wenn er zu Lebzeiten des alten sdron sidr auf den Thron vorbereitet
hat und sein Wissen und Können nidrt blolj von heute ist.
Die Gedanken, die im Augenblick auf dem Gebiet geistigen Schaffens zum Siege gelangen
wollen, sind nidrt von heute. Wer das Gestern und Vorgestern unbedingt verwirft, um dem
neuen Heute freien Raum zu schaffen, vergesse nicht, dalj er auf Vergangenem aufbaut und
selbst ein Sohn der jüngsten Vergangenheit ist.
Grimmige Lust herrscht jet^t, die Vergangenheit zu verurteilen. Geschmäht werden die Jahre
seit der Neubegründung des Deutschen Reichs, wird besonders die Zeit, die auf wissenschaftlidrenr
Gebiet den Relativismus, auf kiinsflerisdrem Gebiet den Impressionismus, diesen Zwillingsbruder
des Relativismus, gezeitigt hat. Relativismus wie Impressionismus gelten heute in gleidrem Maf$
für abgetan. Man meint nicht nur weitergekommen, auch höher gestiegen zu sein.
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