Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0239
DOI issue:
November- Dezember-Heft
DOI article:Deubel, Werner: Hölderlins Untergang
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sicht der unglückliche Träumer sidi wieder in den
Niederungen kalter, fremder Menschen, deren Spradie
er nicht versteht.
„Ich verstehe die Stille des Äthers,
des Menschen Wort verstand ich nie.“ —
Nicht zum zweiten Male kann er sich in die kalten
Zirkel ihrer Ordnungen und Wertungen gewöhnen,
nicht noch einmal seine Seele in ihrem Dienst ver-
leugnen. „Voll Willens“ war er „an die Arbeit
gegangen, hatte geblutet darüber und die Welt um
keinen Pfennig reicher gemacht.“ Um das „höhere
Leben in Glauben und Schauen festzuhalten“, hatte
er „gerungen bis zur tödlichen Ermattung“. Jeht
hatte er zweimal das Spiel verloren. „Mein Gesdiäft
auf Erden ist aus,“ klagt er und sicht mit leerem
Blick seinem Ende entgegen. Und keinen gibt es,
der diesen Blick versteht, ohne Forschen und Fragen,
ohne Worte und Briefe, — keiner war da, wo er
war; keiner kennt die Wege, die er durch den Nebel
irrte; und keiner kann ermessen, was sein Auge sah;
kein' Freund' ist da, dem sich „sein Stärkstes und
Schwächstes“ offenbaren könnte.
Hier sei es gestattet, ein Gedidit anzuführen, das
jene verständnislosen Verständigen, deren wir schon
zu Beginn Erwähnung taten, „sonderbar“ nennen,
das ihnen der „stammelnde Ausdruck einer nicht mehr
gesammelten Kraft“, ja! einem Elenden sogar „Lazarett-
poesie“ zu sein scheint, das wir aber für die er-
greifenden lebten Worte eines Zerbrodienen halten,
der die Wogen seiner Leiden zu einem grauenhaften
Schweigen brachte und mit umschattetem Auge in die
Nacht blickt, die aus dem Lande des Grauens langsam
zu ihm herüberwächst.
Mit gelben Blumen hänget
und voll mit wilden Rosen
das Land in den See,
ihr holden Schwäne!
Und trunken von Küssen
tunkt ihr das Haupt
ins heilig nüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm’ idi, wenn
es Winter ist, die Blumen, und wo
den Sonnenschein
und Schatten der Erde?
Die Mauern stehen
spradrlos und kalt; im Winde
klirren die Fahnen. — — —
Dies Ungeheure treibt ihn in den Wahnsinn. Dies
Ungeheure treibt ein Jahrhundert später den Anderen,
Größeren, auch in den Wahnsinn.
So steht er auf einem einsamen vergletscherten
Gipfel und „starrt in den Winter, der ihn umgibt“,
und seine Stimme tönt wie der fahle Hall geborstener
Glocken :
„Es ist jämmerlidi, so sich verniditet zu sehn!“
Lind keine Träne glimmt in seinem erloschenen Auge.
"Aber ein Klang kommt herüber aus den Näditcn
seines Tiefsinns und tönt wie eine Frühlingsverheiljung
in den erkalteten schauerlosen Tag der Gegenwart;
es ist, als gewahre sein' seherischer Blick am Ende
der Zeiten, wie das Wunder gesdiieht, wie sidr ge-
trennte Ströme wieder verbrüdern, wie der Ring sich
sdiliebt, wie
„in der sterblichen Brust sich das Entzweite vereint“,
und der „heilige Einklang aller Wesen“ wie ein mächtiger
beglückender Akkord über die Wasser braust.
Ein ungekannter Glanz verklärt des Schauenden
Anflih, und wie ein irres Jauchzen bricht es aus
seiner ahnenden Seele:
„O Hoffnung! Bald! bald singen die Haine nidit
des Lebens Lob allein, denn es ist die Zeit,
dah aus des Me ns dien Munde sie, die
schönere Seele sich neu verkündet.“
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Niederungen kalter, fremder Menschen, deren Spradie
er nicht versteht.
„Ich verstehe die Stille des Äthers,
des Menschen Wort verstand ich nie.“ —
Nicht zum zweiten Male kann er sich in die kalten
Zirkel ihrer Ordnungen und Wertungen gewöhnen,
nicht noch einmal seine Seele in ihrem Dienst ver-
leugnen. „Voll Willens“ war er „an die Arbeit
gegangen, hatte geblutet darüber und die Welt um
keinen Pfennig reicher gemacht.“ Um das „höhere
Leben in Glauben und Schauen festzuhalten“, hatte
er „gerungen bis zur tödlichen Ermattung“. Jeht
hatte er zweimal das Spiel verloren. „Mein Gesdiäft
auf Erden ist aus,“ klagt er und sicht mit leerem
Blick seinem Ende entgegen. Und keinen gibt es,
der diesen Blick versteht, ohne Forschen und Fragen,
ohne Worte und Briefe, — keiner war da, wo er
war; keiner kennt die Wege, die er durch den Nebel
irrte; und keiner kann ermessen, was sein Auge sah;
kein' Freund' ist da, dem sich „sein Stärkstes und
Schwächstes“ offenbaren könnte.
Hier sei es gestattet, ein Gedidit anzuführen, das
jene verständnislosen Verständigen, deren wir schon
zu Beginn Erwähnung taten, „sonderbar“ nennen,
das ihnen der „stammelnde Ausdruck einer nicht mehr
gesammelten Kraft“, ja! einem Elenden sogar „Lazarett-
poesie“ zu sein scheint, das wir aber für die er-
greifenden lebten Worte eines Zerbrodienen halten,
der die Wogen seiner Leiden zu einem grauenhaften
Schweigen brachte und mit umschattetem Auge in die
Nacht blickt, die aus dem Lande des Grauens langsam
zu ihm herüberwächst.
Mit gelben Blumen hänget
und voll mit wilden Rosen
das Land in den See,
ihr holden Schwäne!
Und trunken von Küssen
tunkt ihr das Haupt
ins heilig nüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm’ idi, wenn
es Winter ist, die Blumen, und wo
den Sonnenschein
und Schatten der Erde?
Die Mauern stehen
spradrlos und kalt; im Winde
klirren die Fahnen. — — —
Dies Ungeheure treibt ihn in den Wahnsinn. Dies
Ungeheure treibt ein Jahrhundert später den Anderen,
Größeren, auch in den Wahnsinn.
So steht er auf einem einsamen vergletscherten
Gipfel und „starrt in den Winter, der ihn umgibt“,
und seine Stimme tönt wie der fahle Hall geborstener
Glocken :
„Es ist jämmerlidi, so sich verniditet zu sehn!“
Lind keine Träne glimmt in seinem erloschenen Auge.
"Aber ein Klang kommt herüber aus den Näditcn
seines Tiefsinns und tönt wie eine Frühlingsverheiljung
in den erkalteten schauerlosen Tag der Gegenwart;
es ist, als gewahre sein' seherischer Blick am Ende
der Zeiten, wie das Wunder gesdiieht, wie sidr ge-
trennte Ströme wieder verbrüdern, wie der Ring sich
sdiliebt, wie
„in der sterblichen Brust sich das Entzweite vereint“,
und der „heilige Einklang aller Wesen“ wie ein mächtiger
beglückender Akkord über die Wasser braust.
Ein ungekannter Glanz verklärt des Schauenden
Anflih, und wie ein irres Jauchzen bricht es aus
seiner ahnenden Seele:
„O Hoffnung! Bald! bald singen die Haine nidit
des Lebens Lob allein, denn es ist die Zeit,
dah aus des Me ns dien Munde sie, die
schönere Seele sich neu verkündet.“
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