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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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März-Heft
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Kayser, Rudolf: Ueber Hermann von Boetticher
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0502

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Sachlichkeit. Gestaltung ist ihm die selbstverständliche Notwendigkeit der Kunst,
ganz gleich, ob sie Mensch, Idee oder Landschaft meint. Sie ist ihm nidrt Auf-
bau nadi Tagen der Vernichtung durch Ha^ oder Liebe, sondern Erfüllung des
künstlerischen Wesens. So bedurfte er nidrt der Revolten in Idee und Ausdruck,
der aufglühenden Kampfesleidenschaffen, (die seiner sehr norddeutschen Natur
fremd sind), um sidi auf das Wesen des dichterischen Stils zu besinnen.
Troh des Tagebuch-Charakters zeigt eine derartige stilistische Besinnung die
meisterliche Prosa der „Erlebnisse aus Freiheit und Gefangenschaft“. Schilde-
rungen aus Amerika und der Internierung in Frankreich und der Schweiz vibrieren
und glühen von blonder ritterlicher Jugend. Ereignisse und Zustände treten zurück
vor einem Bemühen, dem es auf etwas anderes ankommt: „Auf die Gesichter, die
plöhlich wie Ges firne auf gehen, die Umgegend erleuchten und, das Herz im Menschen
auf stoßend, in uns bleiben, als Freude, als Schmerz, als Gröf>e oder Tiefe . . .“
Dadurch erhalten Landsdiaff und Erlebnisse eine sehr innerliche Bedeutung. Die
deutsche Literatur besifd ja verschiedene grof^e Landschafter: Förster, Heinse,
Goethe, Heine, Kerr, Edsdrmid . . . Aber hier geht etwas neues vor: eine bei-
spiellose Durchdringung von Landschaftlichem und Seelischem, sodaf, Einzelheiten
der Beschreibung nur als Reflexe innerer Bewegung erscheinen. SdimerzÜcher
Ausklang dieses Prosa-Buches sind die von schöner Form-Leistung zeugenden „So-
nette des Zurückgekehrten“, deren Gehalt am besten durch diese Verse angedeufet
wird:
„Den Lärm der Hoffnung will wie Gift ich meiden,
die Macht verachten, bis sie nackt und bloh
zurückgefallen in der Güte Scholj,
in deren Falten milde Sonnen weiden“.
In der Kriegsgefangenschaft schrieb Boetficher sein Friedrich-Drama: „über
ein paar schwache Novellen, Nachklänge aus der Newyorker Sammlung, und
jüngste Dramenentwürfe hinweg stand plötzlich die Gestalt des großen Friedrich
vor mir“. Wir müssen fragen: ist heute ein Drama aus dem Geiste der hero-
isfischen Geschichtsauffassung noch möglich ? Können vergangene Gestalten,
Einheiten von Seele und faktischem Geschehen, uns in unserer heutigen schmerz-
lichen Problematik nodi Werfe bedeuten? Ich glaube nur dann, wenn die Ge-
schidrfe von der Dichtung abfällt; wenn der historische Vorgang Analogie zu
Zeitlosem ist; wenn in einer Gestalt ein Typus sich formte. Das geschieht in
Boeffidiers „Friedrich der Grolle“ kaum oder höchstens in den Momenten, wo
junge Geistigkeit sich gegen ein dumpfes Pfüchtmenschenfum empört. Sonst ist
dieses Drama doch nur Verlebendigung von Gesdii chfsdafen, manchmal allerdings
durch starke Menschlidikeit durchbrochen.
Etwas anderes ist Gesdiichte, etwas anderes ist der Mythos. Denn — und
dadurch erhält er seinen religiösen Charakter — er ist Darstellung von Absolutem.
In seiner legendarischen Erzählung veranschaulicht er Recht und Wirkung von
Ideen. Deshalb sind Dichtungen mythischen Inhalts alles andere als Bearbeitungen

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