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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Diebold, Bernhard: Schlagworte der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0102

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sich restlos alle Verlegenheit der Symboüker
des Unvermögens und der Mystiker des
Sdilagworts.
Wem der Verstand versagt, um all die falsche
Mystik, Symbolik, Irrealität und Geistigkeit
zugleidi als Kunst, als gewordene Form, als
Ausdruck des Unmateriellen und wahrhaft Gött-
lichen zu würdigen, dem sagt man nadi: er
habe keine Intuition, keine Religion — und
also keine Seele. Arme Seele! Du muht
die ungeheuerlidisten Programme mit dem
Gehirn verschlucken und all die zackigen Sdilag-
worte fressen; du sollst didr ganz in aktiven
Geist und hödrste Vernunft verwandeln und
doch reine, empfangende, hingebende, gläubige
Seele bleiben. O ihr Schlag wöiferige der
Geistigkeit, euer Hauch schon weht verbraudite
Gehirngase, die alles Seelisdie vergiften! Seele,
gewiß Seele. Seele ist das Sublimste. Man
darf es gar nicht nennen — sonst ist es weg
und tot. Es lebt nur im Herzen, in der Gemein-
schaft, im groben Kunstwerk — nimmer aber
im Programmdunst eurer metaphysischen
Bedürfnisanstalten.
Nun mißverstehe man nicht. Es geht hier
wahrlidr nidit gegen die moderne Kunst und
ihre Wesenheiten, es geht nidit gegen den
wirklidien Sinn von Mystik und Symbolik,
von Seele und Geist — es geht hier gegen den
Unsinn, der die Begriffe fälscht, gegen das
Mißverstehen und frevle Vermengen großartiger
Worte, gegen einen unerhörten Dilettantismus
in der Tagesästhetik eitler Skribenten, die mit
ihren Aufgeregtheiten und Überspannungen
durdi ihre falschen Posaunentöne der werdenden
neuen Kunst mit ihren jungen h ühlern nur
Mißkredit und Schaden bringen. Denn vor
solchem Denkgemüse wendet sich nidit nur
der Bildungsphilister, sondern jeder Donk-
reinlidie, jeder gefühlsgetriebene Künstler. Nur
die Nachtrottier und Originalitätshasdier be-
rauschen sidi statt an der Tat am Schlagwort

und führen es im Munde wie ein ewiges Pater-
noster. Die Wahren und die Starken sdiaffen
das Werk.
Sidier gibt es Klärungen durdi das Wort
— Lessing, Theodor Lipps, Worringer, Fiedler
und viele feine Köpfe gaben sie —, jedodi
nidit um des Wortes, um der Geistreidiigkeit,
um der Heroldseitelkeit willen, sondern audi
hier nur für die wahre Erkenntnis und Erfühlung
des Werkes. Nidit immer nur mit Allgemein-
heiten kritisieren, mit „Dynamik“ und „Rhythmik“
und „Musikalität“. Nidit alles, was nidit
gleidi nach Irrealität und Geistigkeit riedit,
ganz billig mit dem beliebten Sdilagcr „Kitsdi“
zusammenhauen, mit dem audi Raffael und
Rubens in der Umgangssprache des „Kaffee
Größenwahn“ beworfen werden. Der wahre
Geist ersdieint dem Sehenden nidit nur in
irrealem und diaotischem Sfumato, er offenbart
sidi audi im Lidit der reinen Form. Mögt ihr
audi nur nodi „Dionysos!“ jubeln in eurer
Trunkenheit, Apoll wird doch in eurem Traum
erscheinen — sofern ihr Seher seid. Erkennet
das und seid demütig vor allem Großen!
Audi vor den großen Worten! Mißbraudiet
nicht für jedes Impromptu eurer malenden Finger
und diditenden Gehirne den Namen Gottes.
Versdiwendet nicht die Heiligen des Christentums
und das erhabene Kreuzeszeidien für jede kleine
Passion eures Alltags. Beschönigt nicht eure künst-
lerische Unfertigkeit, euer gemaltes und geschrie-
benes Stammeln und Bangen mit dem gewiß recht
guten Willen zu einer neuen Weltordnung, zur
„Mensdiheit“, zur „Brüderlichkeit“ und mit der
Sehnsucht nadi „Liebe“. Wohl seid ihr heute
als Künstler zum Priestertum berufen, zur
Prophetie und zum Martyrium des Idi. Aber
seid redliche Büßer im neuen Geiste, tätige
Vollbringer eurer Worte, nicht aber sdiamlosc
Komödianten der Programmtexte, nidit Schlag-
wort-Rhetoriker. Seid reine Künstler — und
des göttlidien Geistes seid ihr gewiß!

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