Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0527
DOI Heft:
März-Heft
DOI Artikel:Müller-Wulckow, Walter: Durch die Kunst zur Kultureinheit
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0527
sic das Zeitgemeinsame dabei nicht aus den Augen lassen. Persönliches trennt.
Das Ziel sollte die Wegbahner vereinen. Dazu aber bedarf es eines zwingenderen
Willens zur Sache, der die Eigenliebe der Einzelnen in Fesseln schlägt. Nidrt
durch die Nachahmung, zu der die Unproduktiven immer schon bereit waren, ent-
steht die Stileinheit, sondern durch die Gesinnungsgemeinschaft der Schöpferischen.
Wo Unterordnung am schwersten, da gerade wird sie auch am tragfähigsten zu
Hohem. Schließlich hat in dieser Richtung auch das Publikum seine Verantwor-
tung. Nur eine synthetisdr sehende Generation wird reif für den Stil.
Bei der Betrachtung der künstlerischen Situation dürfen wir über der Fülle
der Eindrücke vor allem also eins nicht versäumen: die richtige Einstellung zum
Ganzen. Was wir da tagtäglich sehen, sind doch nur die Trümmer erschütterter
Kultur und notdürftig aus den Bruchstücken zurecht gezimmerte Notbehelfe für
die neuen Aufgaben an Stelle ihrer abschließenden Lösung. Zu kurz sind die
Probleme uns erst bewußt geworden, als daß sie in dem Jahrhundert der Um-
wertung schon hätten bewältigt werden können. Wie sollte in dem Chaos des
modernen Großstaates, der die Freizügigkeit und die Umwälzung aller sozialen
Schichtungen gebracht, wie sollte da jeßt schon die Entwicklungslogik vorhanden
sein, wo vieles Zeitnotwendige im Auftrieb erstickt, vieles Zufällige aber gefördert
worden ist!
Die Bewußtheit darf sich dennoch nicht auf die Kunstform selbst beziehen,
sondern muß hervorquellen aus der Lebensgestaltung, die der Kunst gewisser-
maßen das Rohmaterial darbietet, um von ihr mit Formgefühl durchdrungen zu
werden. Die unglückselige Ungeduld in geistigen Dingen läßt den Schaffens-
frohen nicht auf die Erfüllung der Vorausseßungen warten. Und diese klären sidr
allerdings auch nicht ohne vorläufige, unzulängliche Verwirklichungsversuche.
Geistiges ist soviel schwerer zu organisieren als Materielles, wo eben Rohstoff-
gewinnung, Halbfabrikat und Verfeinerung in natürlicher Ordnung sich aneinan-
derreihen und der Prozeß der Verbesserung jeweils wieder von vorne beginnen
muß. Daher haben wir im Geistigen wie Künstlerischen diese Häufung von vor-
läufigen Problemlösungen, die in ihrer Unzulänglichkeit Abschlagszahlungen auf
das Eigentliche bedeuten, und in ihrem Umfang der schließlichen Klärung fast
mehr im Wege stehen, als völlig Unzureichendes, Denn gegenseitig sidr wider-
sprechende Halbheiten erzeugen ihrerseits wiederum bedenklicheres Mißverstehen,
Von Grund aus Verfehltes treibt dagegen energisch nadi dem Entgegengeseßten
hin. Daß nur von innen heraus das Angestrebte gefördert werden kann, wie das
Erz aus dem Sdioß der Erde, wird für geistige Werte immer unter der Bewußt-
seinsschwelle bleiben. Wer von sich behauptet, dieses schwer zu prüfende Impon-
derabile zu besißen, hat seinem köstlichsten Trieb mit diesem entwürdigenden
Zurschaustellen die Keimkraft genommen, wie einem gewaltsam geöffneten Samen
die Wachstumsmöglichkeit.
Wie anders als jene unglückselige Bewußtheit böte lebendiges Gefühl den
Kunstwerken einen Resonanzboden. Nidrt etwa, daß alles desto lauter dann
467
Das Ziel sollte die Wegbahner vereinen. Dazu aber bedarf es eines zwingenderen
Willens zur Sache, der die Eigenliebe der Einzelnen in Fesseln schlägt. Nidrt
durch die Nachahmung, zu der die Unproduktiven immer schon bereit waren, ent-
steht die Stileinheit, sondern durch die Gesinnungsgemeinschaft der Schöpferischen.
Wo Unterordnung am schwersten, da gerade wird sie auch am tragfähigsten zu
Hohem. Schließlich hat in dieser Richtung auch das Publikum seine Verantwor-
tung. Nur eine synthetisdr sehende Generation wird reif für den Stil.
Bei der Betrachtung der künstlerischen Situation dürfen wir über der Fülle
der Eindrücke vor allem also eins nicht versäumen: die richtige Einstellung zum
Ganzen. Was wir da tagtäglich sehen, sind doch nur die Trümmer erschütterter
Kultur und notdürftig aus den Bruchstücken zurecht gezimmerte Notbehelfe für
die neuen Aufgaben an Stelle ihrer abschließenden Lösung. Zu kurz sind die
Probleme uns erst bewußt geworden, als daß sie in dem Jahrhundert der Um-
wertung schon hätten bewältigt werden können. Wie sollte in dem Chaos des
modernen Großstaates, der die Freizügigkeit und die Umwälzung aller sozialen
Schichtungen gebracht, wie sollte da jeßt schon die Entwicklungslogik vorhanden
sein, wo vieles Zeitnotwendige im Auftrieb erstickt, vieles Zufällige aber gefördert
worden ist!
Die Bewußtheit darf sich dennoch nicht auf die Kunstform selbst beziehen,
sondern muß hervorquellen aus der Lebensgestaltung, die der Kunst gewisser-
maßen das Rohmaterial darbietet, um von ihr mit Formgefühl durchdrungen zu
werden. Die unglückselige Ungeduld in geistigen Dingen läßt den Schaffens-
frohen nicht auf die Erfüllung der Vorausseßungen warten. Und diese klären sidr
allerdings auch nicht ohne vorläufige, unzulängliche Verwirklichungsversuche.
Geistiges ist soviel schwerer zu organisieren als Materielles, wo eben Rohstoff-
gewinnung, Halbfabrikat und Verfeinerung in natürlicher Ordnung sich aneinan-
derreihen und der Prozeß der Verbesserung jeweils wieder von vorne beginnen
muß. Daher haben wir im Geistigen wie Künstlerischen diese Häufung von vor-
läufigen Problemlösungen, die in ihrer Unzulänglichkeit Abschlagszahlungen auf
das Eigentliche bedeuten, und in ihrem Umfang der schließlichen Klärung fast
mehr im Wege stehen, als völlig Unzureichendes, Denn gegenseitig sidr wider-
sprechende Halbheiten erzeugen ihrerseits wiederum bedenklicheres Mißverstehen,
Von Grund aus Verfehltes treibt dagegen energisch nadi dem Entgegengeseßten
hin. Daß nur von innen heraus das Angestrebte gefördert werden kann, wie das
Erz aus dem Sdioß der Erde, wird für geistige Werte immer unter der Bewußt-
seinsschwelle bleiben. Wer von sich behauptet, dieses schwer zu prüfende Impon-
derabile zu besißen, hat seinem köstlichsten Trieb mit diesem entwürdigenden
Zurschaustellen die Keimkraft genommen, wie einem gewaltsam geöffneten Samen
die Wachstumsmöglichkeit.
Wie anders als jene unglückselige Bewußtheit böte lebendiges Gefühl den
Kunstwerken einen Resonanzboden. Nidrt etwa, daß alles desto lauter dann
467