steht ja der Norddeutsche etwa auf der Stufe
des Russen. Im übrigen aber stehen die beiden
Meister in dem lehrreichsten und denkwürdig»
sten Gegensatz. Emil Noldes Malerei ist schon
von der Ausstellung »Neue religiöse Kunst«
im Jahre 1917 her, wo das große Maria von
ÄgyptensTriptychon ausgestellt war, in Mann»
heim bekannt. In seiner Landschaftskunst stek»
ken heimatliche Stimmungswerte, die auch dem
kunstfernen Menschen im Laufe der Zeit ein»
leuchten. Gegenüber der Malerei des Russen
wirkt Noldes Kunst freilich beinahe materiell.
Sie kommt aus dem Inneren der Erde, bei
ihren feurigen Ausbrüchen bleibt Lava und
Schlacke zurück. Sie wirkt schwerer, gesunder,
urwüchsiger aber auch nicht so streng und zart
wie die fast krankhaft sublimierte Geistigkeit
des Russen.
Noldes Akte, Stilleben und Landschaften in
ihrer düsteren, infernalischen Farbenglut sind
der Ausdruck eines allgemeinen dämonischen
Weltgefühls, das man in seiner Unerlöstheit
immer nur als »präreligiös« bezeichnen kann.
Alexander von Jawlenskys Malerei will ge»
wiß als Ausdruck eines mystischen, im Ge»
heimnis der innersten Person wurzelnden Be»
wußtseins verstanden sein, obgleich auch sie
keinerlei kirchliche Sinnbilder verwertet. Ganz
im Gegensatz zu beiden steht nun die durchaus
konfessionell sich gebende große Malerei Willi
Oesers, eines jungen Mannheimers, der in dem
der Kunsthalle benachbarten »Kunstbaus« eine
Kollektivausstellung vorführt. Es handelt sich
um große, zum Teil glasfensterartig oder mosaik»
mäßig anmutende Kompositionen aus dem
christlich»katholischen Stoff kreis; alles monu»
mental, ja fast schematisch in einfachen Um»
rissen und Farben und in klarer Gegenständlich»
keit aufgefaßt, alles nach wirklicher Anwendung
im kirchlichen Rahmen aufs dringendste ver»
langend. Die religiöse Empfindung des jungen
Künstlers, seine Visionskraft, der das Dogma
keine Fessel, sondern Hilfe ist, scheint außer»
gewöhnlich. In den Köpfen und Bewegungen,
in den figürlichen Gesamtkompositionen steckt
eine naive Kraft des Gefühls, eine innere Ver»
bundenheit mit dem Wesentlichen des Glaubens
und dabei ein entschiedener Wille zu den heu»
tigen Mitteln der Kunst, wie man sie in solcher
Verbindung bei einem Künstler unserer Zeit
sonst kaum findet. Wird die Kirche das sich hier
bietende große Talent zur rechten Zeit erkennen
und in allen seinen Möglichkeiten sich dienstbar
zu machen verstehen? Man möchte es im Inter»
esse der Kirche wie des Künstlers dringend er»
hoffen. Sicherlich wird der Maler dann auch
unter dem Zwange handwerklicher Notwendig»
keiten das nachzuholen verstehen, was ihm bis»
her fehlt: den Sinn und das Vermögen zu einer
schönen soliden »Malerei« im engeren und
eigentlichen Sinn, die Vertiefung der Zeichnung
nach größerem Naturverständnis hin. Er wird
zwischen bloßem dekorativen Schematismus
und wirklich monumentaler Gestaltung noch
schärfer zu unterscheiden lernen und was ihm
bis jetzt nur ein provisorisches Hilfsmittel ist,
um seiner gewaltigen Visionen überhaupt formal
einigermaßen Herr zu werden, wird im Laufe
der Zeit zu einer wirklich organisch durch»
gebildeten und fügsamen Sprache heranreifen,
der auch kein Rest von genialem Dilettantismus
mehr anhaftet. An ursprünglicher Kraft eines
ungebrochenen religiösen Schauens ist Willi
Oeser schon heute einem Toorop, Thorn»
Prikker oder einem Girieud — an den er ge»
legentlich erinnert — weit überlegen; im Hand»
werklichen und in der Vollendung der Mittel
kann er von diesen Künstlern noch viel lernen.
G. F. Hartlaub
GLASPALAST UND NEUE SEZESSION.
Indem ich versuche, über diese beiden entschei»
denden Münchener Ausstellungen zu berichten,
ergreift mich Scheu und Trauer. Niemals wird
es dem Betrachtenden möglich sein, die Uns
summe von blutigem Ringen auszuschöpfen,
die hinter all’ diesen Bildern und Statuen sich
verbirgt. Darum sollte er schweigen, wo er nicht
freudigen Herzens anerkennen kann. Und wie»
derum läg ein völligem Schweigen ein noch un»
gerechteres Absprechen.
So möchte ich einfach bekennen, daß mir aus
dem ganzen Glaspalast ein einziges Bild in Er»
innerung geblieben ist: ein Christus am Kreuz
mit Maria und Johannes von Felix Baumhauer.
Hier spürte ich ein Erlebnis, nicht bloß des
Stoffes, sondern auch der Farbe und Form. Wie
in einer leeren Welt wachsen die drei Figuren
schräg nach oben gegeneinander. Magere, fast
ausgemergelte Körper, leidzerfressene Gesich»
ter, der Raum von dem furchtbaren Augen»
blick in ein schicksalhaftes graues Blau getaucht.
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des Russen. Im übrigen aber stehen die beiden
Meister in dem lehrreichsten und denkwürdig»
sten Gegensatz. Emil Noldes Malerei ist schon
von der Ausstellung »Neue religiöse Kunst«
im Jahre 1917 her, wo das große Maria von
ÄgyptensTriptychon ausgestellt war, in Mann»
heim bekannt. In seiner Landschaftskunst stek»
ken heimatliche Stimmungswerte, die auch dem
kunstfernen Menschen im Laufe der Zeit ein»
leuchten. Gegenüber der Malerei des Russen
wirkt Noldes Kunst freilich beinahe materiell.
Sie kommt aus dem Inneren der Erde, bei
ihren feurigen Ausbrüchen bleibt Lava und
Schlacke zurück. Sie wirkt schwerer, gesunder,
urwüchsiger aber auch nicht so streng und zart
wie die fast krankhaft sublimierte Geistigkeit
des Russen.
Noldes Akte, Stilleben und Landschaften in
ihrer düsteren, infernalischen Farbenglut sind
der Ausdruck eines allgemeinen dämonischen
Weltgefühls, das man in seiner Unerlöstheit
immer nur als »präreligiös« bezeichnen kann.
Alexander von Jawlenskys Malerei will ge»
wiß als Ausdruck eines mystischen, im Ge»
heimnis der innersten Person wurzelnden Be»
wußtseins verstanden sein, obgleich auch sie
keinerlei kirchliche Sinnbilder verwertet. Ganz
im Gegensatz zu beiden steht nun die durchaus
konfessionell sich gebende große Malerei Willi
Oesers, eines jungen Mannheimers, der in dem
der Kunsthalle benachbarten »Kunstbaus« eine
Kollektivausstellung vorführt. Es handelt sich
um große, zum Teil glasfensterartig oder mosaik»
mäßig anmutende Kompositionen aus dem
christlich»katholischen Stoff kreis; alles monu»
mental, ja fast schematisch in einfachen Um»
rissen und Farben und in klarer Gegenständlich»
keit aufgefaßt, alles nach wirklicher Anwendung
im kirchlichen Rahmen aufs dringendste ver»
langend. Die religiöse Empfindung des jungen
Künstlers, seine Visionskraft, der das Dogma
keine Fessel, sondern Hilfe ist, scheint außer»
gewöhnlich. In den Köpfen und Bewegungen,
in den figürlichen Gesamtkompositionen steckt
eine naive Kraft des Gefühls, eine innere Ver»
bundenheit mit dem Wesentlichen des Glaubens
und dabei ein entschiedener Wille zu den heu»
tigen Mitteln der Kunst, wie man sie in solcher
Verbindung bei einem Künstler unserer Zeit
sonst kaum findet. Wird die Kirche das sich hier
bietende große Talent zur rechten Zeit erkennen
und in allen seinen Möglichkeiten sich dienstbar
zu machen verstehen? Man möchte es im Inter»
esse der Kirche wie des Künstlers dringend er»
hoffen. Sicherlich wird der Maler dann auch
unter dem Zwange handwerklicher Notwendig»
keiten das nachzuholen verstehen, was ihm bis»
her fehlt: den Sinn und das Vermögen zu einer
schönen soliden »Malerei« im engeren und
eigentlichen Sinn, die Vertiefung der Zeichnung
nach größerem Naturverständnis hin. Er wird
zwischen bloßem dekorativen Schematismus
und wirklich monumentaler Gestaltung noch
schärfer zu unterscheiden lernen und was ihm
bis jetzt nur ein provisorisches Hilfsmittel ist,
um seiner gewaltigen Visionen überhaupt formal
einigermaßen Herr zu werden, wird im Laufe
der Zeit zu einer wirklich organisch durch»
gebildeten und fügsamen Sprache heranreifen,
der auch kein Rest von genialem Dilettantismus
mehr anhaftet. An ursprünglicher Kraft eines
ungebrochenen religiösen Schauens ist Willi
Oeser schon heute einem Toorop, Thorn»
Prikker oder einem Girieud — an den er ge»
legentlich erinnert — weit überlegen; im Hand»
werklichen und in der Vollendung der Mittel
kann er von diesen Künstlern noch viel lernen.
G. F. Hartlaub
GLASPALAST UND NEUE SEZESSION.
Indem ich versuche, über diese beiden entschei»
denden Münchener Ausstellungen zu berichten,
ergreift mich Scheu und Trauer. Niemals wird
es dem Betrachtenden möglich sein, die Uns
summe von blutigem Ringen auszuschöpfen,
die hinter all’ diesen Bildern und Statuen sich
verbirgt. Darum sollte er schweigen, wo er nicht
freudigen Herzens anerkennen kann. Und wie»
derum läg ein völligem Schweigen ein noch un»
gerechteres Absprechen.
So möchte ich einfach bekennen, daß mir aus
dem ganzen Glaspalast ein einziges Bild in Er»
innerung geblieben ist: ein Christus am Kreuz
mit Maria und Johannes von Felix Baumhauer.
Hier spürte ich ein Erlebnis, nicht bloß des
Stoffes, sondern auch der Farbe und Form. Wie
in einer leeren Welt wachsen die drei Figuren
schräg nach oben gegeneinander. Magere, fast
ausgemergelte Körper, leidzerfressene Gesich»
ter, der Raum von dem furchtbaren Augen»
blick in ein schicksalhaftes graues Blau getaucht.
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