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Feurstein, Heinrich
Matthias Grünewald — Bonn, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.25189#0110
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Isenheimer Altar

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aller Mütter. Und solcher Weise war ihre höchste Freudigkeit unablässig von
schwerster Trauer begleitet, gleich als würde einer Gebärenden gesagt: Wohl hast
du ein lebendes, in allen seinen Gliedern wohlgestaltetes Kind geboren, aber die Wehen
des Gebärens werden bis zu deinem Tode nicht mehr aufhören.

Dritte Lesung. Als sie die klägliche Stimme ihres im Todeskampfe rufenden
Sohnes vernahm: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? und sehen
mußte, wie alle seine Glieder erstarrten und er mit geneigtem Haupte seinen Geist
aufgab, da schnürte die Heftigkeit der Schmerzen das Herz der
Jungfrau also zusammen, daß jedes Gelenke ihres heiligsten
Leibes die Bewegung versagte. Durch seinen Tod schloß der Sohn Gottes
seinen Himmel uns auf, und aus der Vorhölle erlöste er im Triumphe seine Getreuen.
Maria aber blieb im Leben zurück, und sie war es, die einzig und allein
bis zur Auferstehung ihres Sohnes den wahren Glauben uns
erschütterlich bewahrte.

Samstag. Erste Lesung. Während am dritten Tage die Jünger an seine Aufs
erstehung nicht glauben wollten und die Frauen voll Sehnsucht seinen Leib im
Grabe suchten, während sogar die Apostel in übergroßer Herzensangst und Furcht
sich eingeschlossen hielten, da bezeugte die Jungfrau die glorreiche
Auferstehung ihres Sohnes im Fleische zur ewigen Herrlich»
k e i t und daß der Tod über ihn keine Gewalt mehr haben werde. Es ist dies
eine gewisse, über jeden Zweifel erhabene Tatsache, wenn»
gleich in der Schrift kein Wort der jungfräulichen Mutter aus jenen Tagen berichtet
wird. Ebenso ist es für gewiß zu halten, daß, wenn auch die Schrift
sagt, Magdalena und die Apostel hätten früher als die andern die Auferstehung
Christi erfahren, doch seine heiligste Mutter vor ihnen die Ge»
wißheit von der Auferstehung besaß und daß sie die erste
war, die den von den Toten Erstandenen leibhaftig er»
blickte und ihn, erfüllt von Trost und Freudigkeit des Herzens, demütigst mit
Lobpreisungen verherrlichte.

Dritte Lesung. O wie mächtig offenbarte Gott seine Gerechtigkeit, da er den
Adam nach dem ungehorsamen Genuß der verbotenen Frucht vom Baume der Er«
kenntnis aus dem Paradiese hinauswies! O wie herablassend aber offenbarte er in
dieser Welt seine Barmherzigkeit durch die Jungfrau Maria, die ganz treffend der
Baum des Lebens genannt werden kann! Und darum besondere schauten
die Engel so begierig nach der gebenedeiten Frucht von dem Baume des Lebens, weil
sie erkannten, wie herrlich durch sie die unendliche Liebe Gottes an den Menschen
werde geoffenbart und aus den Menschen die Ergänzung ihrer
Reihen hergestellt werden. Darum eilte der Engel Gabriel so
schnellen Laufes zur Jungfrau, sie in Liebe durch seine der Zustimmung
würdigste Ansprache zu grüßen. Und als sie, das Vorbild der Demut und aller
Tugenden, den Gruß des Engels demütigst erwiderte, da er»
kannte er mit Frohlocken, es werde seine Sehnsucht und die
aller andern Engel erfüllt werden.

Und so die Sterblichen nach der Süßigkeit der Frucht vom Baume des Lebens Ver»
langen tragen, dann mögen sie vorerst mit allen Kräften sich bemühen, seine Zweige
zu sich herabzuneigen, d. i. seine heiligste Mutter mit dem Gruße des
Engels anzurufen, die sie stark machen wird, um jede Sünde zu meiden und
 
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