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Fiedler, Conrad
Hans von Marees — München: Nymphenburger Verlagshandl., 1947

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https://doi.org/10.11588/diglit.51228#0048
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in platt-realistischer Weise einen unmittelbaren Natureindruck
wiederzugeben, noch auch die Natur phantastisch umgestalten
zu wollen. „Phantastische Gebilde willkürlich aneinanderreihen“,
sagt Schiller, „heißt nicht ins Ideale gehen und das Wirkliche
nachahmend wieder bringen, heißt nicht die Natur darstellen.“
Und ferner „der Künstler kann kein einziges Element aus der
Wirklichkeit brauchen, wie er es findet, sein Werk muß in allen
Teilen ideell sein, wenn es als ein Ganzes Realität haben und
mit der Natur übereinstimmen soll.“ Marees hatte es wohl be-
griffen, daß es doch nur etwas Handwerksmäßiges sei, aus dem
Studium des einzelnen Naturvorbildes unmittelbar zur Dar-
stellung überzugehen. Wo die künstlerische Tätigkeit darauf
hinauslief, in der Wiedergabe einzelner Naturvorwürfe bis zur
äußersten Vollendung zu gelangen, da fand er in einer so be-
schränkten Unterwerfung unter das Vorbild einen nicht gerin-
geren Mangel an wahrer Kunst, als in der so üblichen Miß-
achtung des Naturstudiums zu gunsten irgend eines Gedanken-
inhalts oder eines sogenannten Schönheitsideals. Man konnte in
seinem Atelier oft Mengen von Aktzeichnungen auf dem Boden
liegen sehen; sie hatten, nachdem er sie einmal gemacht hatte,
keinen Wert mehr für ihn; er vernichtete sie, um neuen Platz
zu machen. Sobald er daran ging, das Bild der Natur, was in
ihm aus einer reichen, innigen, verständnisvollen Anschauung
entstand, bis zum malerischen Ausdruck zu entwickeln, da mußte
er sich vor allem von dem Zwang frei machen, den das einzelne
und direkte Vorbild auf die schaffende Tätigkeit ausübt. Er
fühlte, daß er zu der Natur in einem besonderen nur ihm eige-
nen Verhältnis stehe, er suchte nach einer Form für das, was
ihm der Inhalt der Natur war, und diese Form konnte er nur
auf dem Wege des bildnerischen Schaffens finden. So enthüllte
sich ihm die Wahrheit, daß der Mensch zum höchsten Ausdruck
der Realität nur durch schöpferische, ideale Gestaltung gelangen
kann. In wessen Seele aus den tief empfundenen Anregungen,
die auf Schritt und Tritt aus der umgebenden Welt auf ihn
eindringen, sich das Bedürfnis entwickelt, ein Bild zu finden,
in dem er zu einer Vorstellung dessen gelangen könne, was ihm
die sichtbare Natur ist, der befindet sich recht eigentlich auf
dem Weg, der von der Natur zur Kunst führt. In der Gestal-

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