DIE FLORENTINER MADONNEN
DIK Madonnen sind für Raphael die hohe Schule der Komposition gewesen.
i Das Schauspiel, ihn um den anmutigen und zugleich klaren Ausdruck für
' die menschlichste aller Gruppen ringen zu sehen, macht diesen Teil seines
Lebenswerks noch anziehender.
Er beginnt mit der umbrisch festumzogenen Gestalt in tiefen Farben: Die Jungfrau
mit dem Akkord von rot und blau im Kleid steht ruhig gegen das Firmament, und vor
ihr hebt sich der Kinderkörper in olivem Fleischton heraus: der heilige Knabe, von der
Mutter wie ein kostbares anvertrautes Gut geborgen und farbig ganz umschlossen. Hier
herrschen die Gesetze des altertümelnden byzantinisch-gotischen Stils, den Perugino
für die neue Innerlichkeit der Empfindung wieder heraufbeschwor, und es waltet eine
Kirchlichkeit, die wie Glasmalerei, Orgel und Hymne wirkt,;-5
Dies alles muß der Lebensfülle und dem hellen Tag in Toskana weichen: Bewegung
und Licht drängen sich an, das Kind nimmt seinen Teiharn UTTrfrß "der Gruppe, den es
lebendig sprengt, greift hinaus in die Landschaft und steht mittehid mit seinem Fleisch-
ton, das Auge farbig und durch Bewegung erregend, zugleich vor Kleid und Mantel wie
vor dem Braun und Grün der Landschaft und in der leuchtenden Luft.
Die Zeichnungen der ersten Florentiner Jahre reden nur von diesem gelösten Umriß,
gruppieren die beiden Köpfe über der Masse der Körper, freuen sich am Spiel der Run-
dungen, an ihrem Sichballen und Aufgipfeln zum feinen modulierten Zusammenklang
in der Beweglichkeit einer Gruppe, wo in Umbrien gleichsam ein Spitzbogen alles zu-
sammenfaßte. Auf den Blättern desselben Skizzenbuchs, das seine Notizen und Studien
nach den Florentiner Marmorformen aufnahm, zeichnete er solche neue Gruppierung
mit bewegteren Umrissen (Wien, London), aber im gleichen Augenblick sieht er dies
neue dramatisch-plastische Leben farbig. Die leuchtenden Kinderkörper zucken und
zappeln vor dem blauen Mantel der Mutter und dem Resedagrün der Landschaft. Dazu
tritt mit dem Johannesknaben das neue noch hellere Spiel zweier Kinderkörper vor der
farbigen Folie der Mutter. Und dies Huschen blinkender Formen vor tieftönigen wirkt
dramatisch, wie Beziehungen und Ausdruck sich vervielfältigen.
In der ersten Zeichnung zur Madonna del cardellino steht das Kind schattenlos vor
der groß gegebenen Schattierung der Mutter. Dies ist der Sinn, in dem der ümbrische
Maler alle plastisch-architektonischen Errungenschaften der Florentiner Kunst aufnimmt
- sie werden ihm zur Malerei. Er findet sich in jedem Augenblick, wo er an andere,
die schon fertig sind, sich zu verlieren scheint, selbst wieder, und grüßt sich selbst wie
Narciß, als er am Arno auf die frühen sonnigen Werke seines Lehrers trifft, den er in
Perugia nur tieffarbig und altertümlich gekannt haben mochte.
Die Komposition der Jungfrau mit den beiden Kindern entwickelt sich von der Ma-
donna del cardellino über die Madonna im Grünen zur »belle jardiniere« in immer stei-
DIK Madonnen sind für Raphael die hohe Schule der Komposition gewesen.
i Das Schauspiel, ihn um den anmutigen und zugleich klaren Ausdruck für
' die menschlichste aller Gruppen ringen zu sehen, macht diesen Teil seines
Lebenswerks noch anziehender.
Er beginnt mit der umbrisch festumzogenen Gestalt in tiefen Farben: Die Jungfrau
mit dem Akkord von rot und blau im Kleid steht ruhig gegen das Firmament, und vor
ihr hebt sich der Kinderkörper in olivem Fleischton heraus: der heilige Knabe, von der
Mutter wie ein kostbares anvertrautes Gut geborgen und farbig ganz umschlossen. Hier
herrschen die Gesetze des altertümelnden byzantinisch-gotischen Stils, den Perugino
für die neue Innerlichkeit der Empfindung wieder heraufbeschwor, und es waltet eine
Kirchlichkeit, die wie Glasmalerei, Orgel und Hymne wirkt,;-5
Dies alles muß der Lebensfülle und dem hellen Tag in Toskana weichen: Bewegung
und Licht drängen sich an, das Kind nimmt seinen Teiharn UTTrfrß "der Gruppe, den es
lebendig sprengt, greift hinaus in die Landschaft und steht mittehid mit seinem Fleisch-
ton, das Auge farbig und durch Bewegung erregend, zugleich vor Kleid und Mantel wie
vor dem Braun und Grün der Landschaft und in der leuchtenden Luft.
Die Zeichnungen der ersten Florentiner Jahre reden nur von diesem gelösten Umriß,
gruppieren die beiden Köpfe über der Masse der Körper, freuen sich am Spiel der Run-
dungen, an ihrem Sichballen und Aufgipfeln zum feinen modulierten Zusammenklang
in der Beweglichkeit einer Gruppe, wo in Umbrien gleichsam ein Spitzbogen alles zu-
sammenfaßte. Auf den Blättern desselben Skizzenbuchs, das seine Notizen und Studien
nach den Florentiner Marmorformen aufnahm, zeichnete er solche neue Gruppierung
mit bewegteren Umrissen (Wien, London), aber im gleichen Augenblick sieht er dies
neue dramatisch-plastische Leben farbig. Die leuchtenden Kinderkörper zucken und
zappeln vor dem blauen Mantel der Mutter und dem Resedagrün der Landschaft. Dazu
tritt mit dem Johannesknaben das neue noch hellere Spiel zweier Kinderkörper vor der
farbigen Folie der Mutter. Und dies Huschen blinkender Formen vor tieftönigen wirkt
dramatisch, wie Beziehungen und Ausdruck sich vervielfältigen.
In der ersten Zeichnung zur Madonna del cardellino steht das Kind schattenlos vor
der groß gegebenen Schattierung der Mutter. Dies ist der Sinn, in dem der ümbrische
Maler alle plastisch-architektonischen Errungenschaften der Florentiner Kunst aufnimmt
- sie werden ihm zur Malerei. Er findet sich in jedem Augenblick, wo er an andere,
die schon fertig sind, sich zu verlieren scheint, selbst wieder, und grüßt sich selbst wie
Narciß, als er am Arno auf die frühen sonnigen Werke seines Lehrers trifft, den er in
Perugia nur tieffarbig und altertümlich gekannt haben mochte.
Die Komposition der Jungfrau mit den beiden Kindern entwickelt sich von der Ma-
donna del cardellino über die Madonna im Grünen zur »belle jardiniere« in immer stei-