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Fischel, Oskar [Editor]; Raffaello <Sanzio> [Ill.]
Raphaels Zeichnungen: [Text und Tafeln in Mappen] (Band 5): Römische Anfänge und die Decke der ersten Stanze, der Parnass, die Jurisprudenz — Berlin, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.11121#0035
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Dies grüngrundierte Papier verwendete Raphael zu Silberstiftzeichnungen bei manchen Stauda della
Disputablättern, wie dem sogenannten Bramante und den Köpfen und Händen der linken Segnatura
Jünglingsgruppe (Teil VI) Deckenbilder

223—236

231. Studien zum Urteil Salomons und /.um Kindermord.

Federzeichnung in gelblichbrauner und schwärzlicher Tinte und Bleigriffel' .
Hoch l'<V cm, breit 2i),8 cm.

Wien, Albeftina, S.R.221. Aus den Sammlungen Timoteo Viti, Crozat, Gouvernet, Julien de Panne.
Literatur: Fische!, Nr. i6j; Gronau, Aus Raphaels Florentiner Tagen, S.50.

In der Mitte, halb verloschen, die flüchtigste Vorzeichnung einer, der Oxforder Skizze
ähnlichen, Komposition. Mit Hilfe jenes Blattes läßt sich hier der König erkennen, im Profil
mit vorgeseztem Fuß; die echte Mutter kommt vorwärts gegen den Henker; ihr Kopf
deckt sich fast mit dem bärtigen Kopf dieser Figur, die an den Adam des Fouvre-Blattes
(Tf. 224) erinnert. Rechts daneben die trügerische Mutter wie im Bild, aber mit ge-
schlossenem .Mieder, und der Henker, ähnlich der Figur im Kindermord, nur weniger
energisch — rechts oben dieselbe Figur in der stärkeren Verschiebung des gerade Heraus-
stürmenden.

Die Figur des Henkers war flüchtig und sicher skizziert; am Kopf und Füßen erkennt
man noch die geniale Andeutung wie beim Adam in Paris (Tf. 224) und am Oberkörper
in hellerer Tinte eine Strichlage, die der Gestalt mehr Sonne als Schatten gab. An der
knienden Frau läßt sich noch dies Auftauchen aus dem Schatten durchs Helldunkel in
das den Umriß auflösende Licht, besonders in der braunen Tinte des Originals, genießen.
Aber die Figur des Henkers und der Öberkörper rechts sind von einer ungenialen Hand
schraffiert, der man auch manches Befremdliche in der Schattierung einiger Florentiner
Blätter (z.B. IV, Tf. 172) zuschreiben möchte. Jedenfalls lagen bei diesem Henker die Schatten
von Anfang an auf der linken Seite, während sie bei dergleichen Figur auf allen Blättern
zum Kindermord und bei Marcanton selbst rechts fallen. Die Frau kniet sehr reizvoll wie im
Rampenlicht mit in Sonne und Schatten verklingendem Kontur; sie ist berechnet aul den
Lichteinfall vom Fenster in der Wand der Jurisprudenz. Fs ist also keine Frage, daß
auch diese Jünglingsgestalt mit ihrer Beleuchtung für das Salomonsurteil an der Decke
bestimmt war, und daß aus diesem ersten Gedanken sich dann der Kindermord im freien,
offenen Licht entwickelte. Dafür spricht auch die Zeichnung auf der Rückseite.

232. Auf der Rückseite: Der Henker zum Urteil Salomons, wie in der Oxforder Skizze.
Schwarbe Kreide.

Literatur: Wickhoff, S. R. 22/; Fischet, nicht erwähnt.

Die Figur gibt eine genauere Durchbildung des Henkers aus der ersten Kompositions-
skizze in einer Manier, den Kontur schwellen und abklingen zu lassen, die, mit freilich
weit größerer Beherrschung des Anatomischen, Michelangelo gerade damals bei seinen
Studien zur Sixtinischen Decke, wie dem Adam der Vertreibung in London, übte. Mit
dieser lange verkannten Zeichnung ist eine neue Anschauung für Raphaels Art, bew egte
Form anzudeuten, gewonnen, die bei den Studien zur Dispute, besonders den Engeln
der Sammlung Malcolm, ihre Vollendung finden sollte (Teil VI).

Von der anderen Seite des Blattes markieren sich die Bisterkonturen der knienden
Frau durch das Papier hindurch.

I) Um die kaum sichtbare Zeichnung in der .Mitte deutlich zu machen, wurde die Reproduktion in einem
kälteren Ton als das Original gedruckt.

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