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Fischel, Oskar [Editor]; Raffaello <Sanzio> [Ill.]
Raphaels Zeichnungen: [Text und Tafeln in Mappen] (Band 6): Die Disputa — Berlin, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.11122#0007
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DIE D1SPUTA

DieEntwickelungderDisputakomposition durch die Handzeichnungen darzustellen,
ist heut nicht so ungetrübt gefahrlos, wie zu Passavants, Grimms und auch
noch Springers Zeit; denn dem Verdikt des großen Kenners Morelli und seiner
Gefolgschaft sind — scheinbar konsequent, wenn man zum festen Maßstab die
Florentiner Federzeichnungen nahm — vor allem die Entwürfe für den Bau des Ganzen
und für die großen Gruppen zum Opfer gefallen. Es hat sich so die Ansicht ausbilden
können, als wären die mächtigen Wandbilder des Vatikans nur Additionen einzelner
Figurenstudien, eine Art grandiosen Puppenspiels. Jetzt muß man sich in Gegensatz
zu jenen neueren Autoritäten stellen und wieder die Partei der alten Kenner Mariette
und Crozat nehmen; denn sie hielten, Raphael und seiner Kunst um zwei Jahrhunderte
näher und im Besitz der Tradition, die Zeichnungen nicht für echt, weil sie sie erworben
hatten, sondern sie umwarben diese Blätter, weil ihr Instinkt sie ihnen um der Erfindung
und des Ausdrucks willen als begehrenswert erscheinen ließ.

Untersuchungen, die diesen geborenen Sammlern vielleicht fern lagen, aber der neueren
»Connoisseurship« erst recht nicht vertraut waren, haben nun zu dem alten Resultat zu-
rückgeführt, und es ist damit die überraschende und beglückende Möglichkeit zurück-
gewonnen, Raphael auf seinem Weg vom frühen Gedanken zur späten Lösung für die
Füllung der mächtigen Bogenwände zu verfolgen.

Wenn hier also zum erstenmal ein großer Meister bei der Arbeit an seinem Haupt-
werk beobachtet werden darf, so ist die Erfüllung dieser, der Kunstgeschichte eigentlich
beständig vor Augen stehenden, aber von keiner Publikation bisher begriffenen Forde-
rung dem Verständnis des Verlegers zu danken. Was dem Herausgeber unerläßliche
Gewissenspflicht schien, das Material nicht anders als gesichtet und beherrscht zu zeigen, hat
er durch freundschaftlich sachliche Geduld, vielleicht dem eigenen Gewissen entgegen,
möglich gemacht.

Über den Disputastudien hat ein günstiges Schicksal gewaltet; es sind ihrer 45 erhalten,
ein einziger Fall! Von Dürer besitzen wir kaum über 20 zusammengehörige Blätter für seine
figurenreichsten Kompositionen, das Rosenkranzfest, den Hellerschen Altar oder die späte
thronende Jungfrau mit Heiligen aus der niederländischen Zeit. Und doch kann es kaum
der dritte Teil sein, der von der Disputa auf uns kam.

Zur Schule von Athen sind nur 8 Zeichnungen bekannt, aber gewiß lag hinter Raphael
eine so große Summe von Entwürfen und Studien, wie für die Disputa, als er an den
Karton ging. Die achtzehn Blätter zu einzelnen Figuren des Parnaß bezeichnen nur die
letzte Etappe vor der Ausführung, nicht die Genesis der Komposition, für die es großzügige
und sorgfältige Situationsskizzen in beträchtlicher Zahl gegeben haben muß.

Gerade solchen Kompositionsentwürfen war die Zeit nicht günstig. Sie sind in der
Werkstatt und am Arbeitsplatz oft zur Hand genommen, unansehnlich geworden und
verworfen oder wurden später bis zur Unkenntlichkeit restauriert. Ganze Gruppen von
 
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