BESCHREIBUNG DER TAFELN
258. Ein früher Entwurf zur linken Hälfte der ganzen Komposition.
Pinselfeichnung in Bister, weiß gehöht Uber einer Griffelskir^ierung.
Hoch 28 cm, breit 28J; cm.
Windsor Castle, Nr. 12732.
Literatur: Fischet, Nr. 123; Ventnri Raffaello, S. 153.
In der Entwickelung der Komposition bedeutet dies Blatt das früheste uns bekannte
Stadium, zusammen mit den beiden folgenden Entwürfen in Oxford und Chantilly.
Die Vision der himmlischen Sphäre vollzieht sich über der Estrade vor einem mit
dem Papstwappen geschmückten Porticus. Hier sind die Kirchenlehrer versammelt. Die
Region der heiligen Gestalten zeigt sich in drei Zonen (»tregiri«) gegliedert: in der Hohe
des Halbkreises, über der Aureole Christi, Gottvater, der, hier kaum sichtbar, seinen Platz
im Fresko behauptet hat; dann in der mittleren Zone der Salvator, zu seiner rechten
Maria und St. Laurentius wie im Bilde, und ein dritter Heiliger; unter Christus lassen sich
in der Mitte die Apostelfürsten (mit Hilfe der folgenden Oxforder Zeichnung) erkennen,
links zwei Evangelisten, wahrscheinlich der hl. Matthäus und Lukas. Zwischen ihn en und den
mit dem Papstwappen beschäftigten Putten auf dem Gesims, für deren Gruppe noch
Caylus eine besondere Zeichnung gekannt hat (Abb. 247), sind flüchtigst Engel in abwärts
sich senkendem Flug wie im Gemälde angedeutet, zwischen ihnen und Petrus und
Paulus füllt den Raum ein herabstürmender Engel, der zur Glorie hinaufweist; seine Ge-
stalt findet sich schon im letzten Entwurf der »Madonna del baldachino« zu Chatsworth.
Vor der Architektur auf Wolken erscheint eine Frauengestalt in jener aufwärts deu-
tenden Bewegung, die erst im letzten großen Entwurf der Albertina wieder bei dem,
den Häretikern zugewandten Jüngling auftaucht und so ins Fresko überging.
Es ist wichtig, daraufhinzuweisen, daß der so oft erwähnte Zusammenhang der Disputa
und des Freskos von S. Severo in diesem Zustand der Komposition sehr gelockert war
und erst viel später, als der Chor der Heiligen und Geistlichen wuchs und die Architektur
verdrängt hatte, wieder hergestellt wurde. Die noch ganz zu ebener Erde tri ziemlich
starker Obersicht vor der landschaftlichen Ferne gezeigte Gruppe der Kirchenlehrer ist
aus der »Disputa« schließlich fast ganz verschwunden. Diese Erinnerung an Leonardos
Anbetung lebte weiter in der Mathematikergruppe der »Schule von Athen« (Abb. 251).
Alle diese Zusammenhänge mit der Vergangenheit und Zukunft Raphaels sollten gegen
die vor dieser Zeichnung geäußerten Zweifel bedenklich stimmen. Gleichwohl hat bis-
her die negative Kritik die Oberhand behalten. Passavant fand: »il ne repond tout ä ra.it
u la belle maniere de Raphael«. Sie hat tatsächlich so wenig Nazarenisches, wie die
Riesenaufgabe, vor die sich der Maler der »Grablegung« plötzlich gestellt sah. Morelli
(Rom p. 184) wies sie, weil sie laviert ist, dem Perino del Vaga zu, der, als die Disputa
konzipiert wurde, acht Jahre alt war.
Bei dieser Gestaltung im großen werden die einzelnen Personen gleichsam nur im
Lichtraum gruppiert und verschoben; es kam mehr auf Ausdruck der Gruppe als auf
Einzelgebärde an. Daher die »Stumpfheit der Formen«, die Springer beanstandete.
258. Ein früher Entwurf zur linken Hälfte der ganzen Komposition.
Pinselfeichnung in Bister, weiß gehöht Uber einer Griffelskir^ierung.
Hoch 28 cm, breit 28J; cm.
Windsor Castle, Nr. 12732.
Literatur: Fischet, Nr. 123; Ventnri Raffaello, S. 153.
In der Entwickelung der Komposition bedeutet dies Blatt das früheste uns bekannte
Stadium, zusammen mit den beiden folgenden Entwürfen in Oxford und Chantilly.
Die Vision der himmlischen Sphäre vollzieht sich über der Estrade vor einem mit
dem Papstwappen geschmückten Porticus. Hier sind die Kirchenlehrer versammelt. Die
Region der heiligen Gestalten zeigt sich in drei Zonen (»tregiri«) gegliedert: in der Hohe
des Halbkreises, über der Aureole Christi, Gottvater, der, hier kaum sichtbar, seinen Platz
im Fresko behauptet hat; dann in der mittleren Zone der Salvator, zu seiner rechten
Maria und St. Laurentius wie im Bilde, und ein dritter Heiliger; unter Christus lassen sich
in der Mitte die Apostelfürsten (mit Hilfe der folgenden Oxforder Zeichnung) erkennen,
links zwei Evangelisten, wahrscheinlich der hl. Matthäus und Lukas. Zwischen ihn en und den
mit dem Papstwappen beschäftigten Putten auf dem Gesims, für deren Gruppe noch
Caylus eine besondere Zeichnung gekannt hat (Abb. 247), sind flüchtigst Engel in abwärts
sich senkendem Flug wie im Gemälde angedeutet, zwischen ihnen und Petrus und
Paulus füllt den Raum ein herabstürmender Engel, der zur Glorie hinaufweist; seine Ge-
stalt findet sich schon im letzten Entwurf der »Madonna del baldachino« zu Chatsworth.
Vor der Architektur auf Wolken erscheint eine Frauengestalt in jener aufwärts deu-
tenden Bewegung, die erst im letzten großen Entwurf der Albertina wieder bei dem,
den Häretikern zugewandten Jüngling auftaucht und so ins Fresko überging.
Es ist wichtig, daraufhinzuweisen, daß der so oft erwähnte Zusammenhang der Disputa
und des Freskos von S. Severo in diesem Zustand der Komposition sehr gelockert war
und erst viel später, als der Chor der Heiligen und Geistlichen wuchs und die Architektur
verdrängt hatte, wieder hergestellt wurde. Die noch ganz zu ebener Erde tri ziemlich
starker Obersicht vor der landschaftlichen Ferne gezeigte Gruppe der Kirchenlehrer ist
aus der »Disputa« schließlich fast ganz verschwunden. Diese Erinnerung an Leonardos
Anbetung lebte weiter in der Mathematikergruppe der »Schule von Athen« (Abb. 251).
Alle diese Zusammenhänge mit der Vergangenheit und Zukunft Raphaels sollten gegen
die vor dieser Zeichnung geäußerten Zweifel bedenklich stimmen. Gleichwohl hat bis-
her die negative Kritik die Oberhand behalten. Passavant fand: »il ne repond tout ä ra.it
u la belle maniere de Raphael«. Sie hat tatsächlich so wenig Nazarenisches, wie die
Riesenaufgabe, vor die sich der Maler der »Grablegung« plötzlich gestellt sah. Morelli
(Rom p. 184) wies sie, weil sie laviert ist, dem Perino del Vaga zu, der, als die Disputa
konzipiert wurde, acht Jahre alt war.
Bei dieser Gestaltung im großen werden die einzelnen Personen gleichsam nur im
Lichtraum gruppiert und verschoben; es kam mehr auf Ausdruck der Gruppe als auf
Einzelgebärde an. Daher die »Stumpfheit der Formen«, die Springer beanstandete.